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Replace, Reduce, Refine – dafür steht 3R im Namen des 3R-Centers Tübingen, das Alternativen für Tierversuche erforscht.

Portraitbild Dr. Silke Keller

Dr. Silke Keller ist seit der Gründung des 3R-Centers dabei und führt heute die Geschäftsstelle. Sie arbeitet mit der Forschungsgruppe um Center-Leiter Prof. Peter Loskill an vielversprechenden Organ-on-Chip-Modellen. Diese Systeme basieren auf menschlichen Zellen und liefern Ergebnisse, die sicherer und genauer sind als von Tierversuchen. Ein Gewinn für alle!

Dr. Silke Keller hat sich bereits als Doktorandin an der Universität Stuttgart von 2016 bis 2019 mit dem Thema Zellkulturen und In-vitro-Testsystemen sowie später als Post-Doktorandin auch mit Alternativ- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen beschäftigt.

Mit ihrer Expertise hat sie den Aufbau des vom Land Baden-Württemberg mitfinanzierten 3R-Centers in Tübingen begleitet und unterstützt. Im Gespräch erzählt Dr. Silke Keller mehr über ihren vielseitigen Beruf und ihr Engagement, ihre Ambitionen, und warum Frauen aus diesem Bereich der Wissenschaft nicht wegzudenken sind.

Das 3R-Prinzip: Replace, Reduce, Refine

Tierversuche sollen ersetzt werden, vor allem durch neue Möglichkeiten (Replace). Dort, wo auf Tierversuche noch nicht gänzlich verzichtet werden kann, sollen sie jedoch soweit es möglich ist verringert werden (Reduce). Und wenn es in bestimmten Bereichen noch nicht ohne Tierversuche geht, dann sollen die Tiere zumindest möglichst wenig leiden und artgerecht gehalten werden, um möglichst aussagekräftige und reproduzierbare Ergebnisse zu erhalten (Refine).

Dieses „3R-Prinzip“ ist auch der Leitsatz des gleichnamigen Centers in Tübingen – wobei „Replace“ und „Reduce“ ganz klar im Vordergrund stehen. Eine der aktuellsten Methoden, Tierversuche zu ersetzen, ist die Organ-on-Chip-Technologie, mit der sich auch Dr. Silke Keller intensiv beschäftigt. Diese Modelle beinhalten im Labor gezüchtete menschliche Zellen, sozusagen Miniaturorgane. An ihnen kann beispielsweise untersucht werden, wie die Zellen auf neuartige Medikamente reagieren. Einer der Vorteile gegenüber Tierversuchen: Die Ergebnisse müssen nicht erst vom Tier auf den Menschen übertragen werden.

„Die Arbeit mit unserem wissenschaftlichen Nachwuchs begeistert mich.“

Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen: Frau Doktor Keller, Sie untersuchen mit Ihren Kolleginnen, Kollegen und Forschungsteams tierversuchsfreie Methoden für die Forschung. Was würde Ihr jugendliches Ich zu Ihrer heutigen, erfolgreichen Karriere und Position sagen?

Silke Keller: Ich glaube, dass die erst mal große Augen machen würde. Wenn ich so zurückdenke, hätte ich mir das mit 14 oder 15 definitiv nicht träumen lassen, dass ich einmal in so einem Feld landen würde. Ich wäre von dieser Art der Forschung aber sicher nicht weniger begeistert, als ich es noch heute bin.

Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen: Was war Ihr bisher größter Erfolg in Bezug auf die Forschung nach Alternativen zu Tierversuchen?

Silke Keller: Das ist gar nicht so einfach, einen „größten Erfolg“ zu benennen. Es ist vielmehr so, dass es oft viele kleine Ereignisse oder Fortschritte sind, die mich am meisten freuen und mich motivieren weiterzumachen. Das sind ganz oft Begegnungen mit Menschen, die entweder noch kaum etwas darüber wissen, dass es in der Zwischenzeit echte Alternativen zu Tierversuchen gibt, oder Menschen, die eine eher verhärtete Sichtweise auf die Thematik hatten. Im Laufe des Gesprächs mit ihnen merkt man, dass sie ihre Haltung dann doch hinterfragen und offener für Fakten werden. Auch die Arbeit mit unserem wissenschaftlichen Nachwuchs begeistert mich. Die jungen Forscherinnen und Forscher sind hinsichtlich neuer Methoden oft viel aufgeschlossener und begeisterungsfähiger als die älteren Generationen.

„Wir müssen in die Ausbildung von Expertinnen und Experten investieren.“

Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen: Vor welche Herausforderungen wurden Sie bei der Suche nach tierversuchsfreien Alternativen gestellt, und wie konnten Sie diese bewältigen?

Silke Keller: Was die Suche nach tierversuchsfreien Alternativen angeht, braucht es natürlich in erster Linie ganz klar noch mehr Förderinitiativen, damit die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Modelle entwickeln und bereitstellen können. Darüber hinaus ist es aber auch essenziell, dass wir den Forschenden einen niederschwelligen Zugang zu diesen neuen Alternativ- und Ergänzungsmethoden ermöglichen. Das heißt, dass wir eine passende Infrastruktur brauchen, in der die Versuche fachkundig geplant und durchgeführt werden; und wir müssen in die Ausbildung von Expertinnen und Experten investieren, die die Versuche dann auch im Labor ausführen können.

 Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen: Sie forschen an Organ-on-a-Chip-Modellen, die Tierversuche ersetzen sollen. Gibt es Gefahren in Zusammenhang mit diesem System, wie zum Beispiel einen Missbrauch der gezüchteten Zellen?

Silke Keller: Wie fast jede neue Technologie könnten diese Systeme natürlich grundsätzlich auch für andere Zwecke „missbraucht“ werden, z. B. für die Testung der Auswirkung von Kampfstoffen oder biologischen Waffen. Das darf uns aber meiner Ansicht nach nicht daran hindern, alles daran zu setzen, dass wir zunehmend fortschrittliche Modelle entwickeln und etablieren, die der Menschheit nützen. Nur so können wir Leid und Krankheit heilen oder gar verhindern. Und das, ohne anderen Lebewesen Leiden zuzufügen.

„Tierversuche stellen immer ein ethisches Dilemma dar.“

Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen: Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, das Organ-on-Chip-Modell sowie andere Methoden stärker in die Öffentlichkeit zu bringen. Wie gestaltet sich die Wissenschaftskommunikation, die Sie betreiben?

Silke Keller: Grundsätzlich sehr vielseitig. Das liegt unter anderem auch daran, dass Alternativen zu Tierversuchen für verschiedenste Zielgruppen mit unterschiedlichem Vorwissen von Interesse sind. Dazu kommt, dass in unserer Arbeit das Thema Tierversuche natürlich allgegenwärtig ist und die Debatten darum meist sehr emotional sind. Denn Tierversuche stellen immer ein ethisches Dilemma dar. Hinsichtlich der Wissenschaftskommunikation besteht die Herausforderung für mich darin, dass wir uns für einen evidenzbasierten und konstruktiven Dialog einsetzen, in dem die Emotionen hintenangestellt werden. Wir müssen in beide Richtungen offen und vertrauensvoll diskutieren können. Dabei dreht sich die Debatte darum, wo alte Strukturen und Gewohnheiten verändert werden können oder gar müssen, und wo es nach wie vor mangels ausgereifter Alternativen Tierversuche braucht. Außerdem ist es notwendig, darüber aufzuklären, welche Erwartungen an neue Methoden gerechtfertigt sind, aber auch, was aktuell noch nicht geht. Das funktioniert aber nur, wenn wir dann auch die zuvor bereits angesprochene Infrastruktur zur Verfügung haben. Dazu gehören gut ausgebildete Expertinnen und Experten, die den Forschenden beratend und unterstützend zur Seite stehen – sowohl auf der Seite der Alternativmethoden als auch auf Seiten der Tierversuche.

„Mich hat schon immer die (Bio-)Analytik interessiert.“

Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen: Was führte Sie zu Ihrem Studiengang „Angewandte Chemie“ an der Hochschule Reutlingen – wollten Sie die vielfältigen Seiten des Chemiestudiums kennenlernen, oder gab es bereits eine bestimmte Richtung, die Sie angezogen hat?

Silke Keller: Mich hat schon immer die (Bio-)Analytik interessiert. Das fing schon an, als ich nach der Schule eine Ausbildung zur Pferdewirtin absolviert habe. Da hatte ich immer wieder erste Berührungspunkte mit der Analytik von Futtermitteln oder Bodenproben. Das hat mich schon damals sehr interessiert und mich dann nach dem Abschluss meiner Ausbildung an die Universität Hohenheim geführt, wo ich eine zusätzliche Ausbildung im Bereich Agrar- und Umweltanalytik gemacht habe. Dort habe ich von der Pike auf gelernt, wie solche Analysen durchgeführt werden und auf welchen chemischen, biologischen und physikalischen Eigenschaften sie basieren. Und weil mich das so fasziniert hat, wollte ich in diese Richtung dann noch mehr lernen. Ich hatte damals das Glück, tolle Lehrkräfte in Hohenheim zu haben, die mich sehr gut beraten und mich schlussendlich auch dazu ermutigt haben, in Reutlingen Angewandte Chemie mit Schwerpunkt Bioanalytik zu studieren.

„Diese erste ‚Hands-on‘-Erfahrung in der ‚echten‘ Forschung hat mich motiviert weiterzumachen.“

 

Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen: Sie haben einen Teil Ihres Bachelorstudiums an der Kettering University in Flint, Michigan in den USA absolviert. Was bewog Sie dazu, an dieser Universität zu studieren? Und hat es Ihnen besondere berufliche Perspektiven eröffnet?

Silke Keller: Die Kettering University in Michigan ist eine Partneruniversität der Hochschule Reutlingen. Ich hatte mich damals zunächst um ein einzelnes Auslandssemester dort beworben und bin auch ausgewählt worden. Das Kursangebot hatte super zu meinem Studium und meinen Interessen gepasst. Erfreulicherweise habe ich nach dem Abschluss meines ersten Semesters nochmals eine Verlängerung für ein zweites Semester genehmigt bekommen. Anschließend durfte ich sogar noch für mein Praxis- und Thesissemester dortbleiben. Das war ein Riesenglück und hat mich total geprägt. Initial ging es mir eigentlich darum, einmal für längere Zeit im Ausland zu sein, dort den Universitätsalltag kennen zu lernen, internationale Freundschaften zu schließen und natürlich mein Schulenglisch aufzupolieren. Davon profitiere ich in meinem heutigen Berufsalltag noch jeden Tag. Während meiner Zeit dort durfte ich auch sehr eng mit einer Professorin an der Gewinnung von Biogas aus biologischen Rest- und Abfallstoffen forschen. Diese erste „Hands-on“-Erfahrung in der „echten“ Forschung hat mich motiviert weiterzumachen und wieder in Deutschland zunächst den Master und später auch die Promotion anzuhängen.

„Es ist kein Tag wie der andere, was meine Arbeit umso spannender macht.“

Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen: Heute besetzen Sie die Leitung der Geschäftsstelle des 3R-Centers zur Prävention von Tierversuchen, sind zusätzlich Projektmanagerin im Interdisziplinären Trainingsnetzwerk EUROoC und arbeiten eng mit der Politik zusammen. Wie läuft ein typischer Arbeitstag bei Ihnen ab?

Silke Keller: Das ist wirklich ganz unterschiedlich, weil mein Arbeitsalltag und meine Aufgaben sehr vielseitig und abwechslungsreich sind. Es ist kein Tag wie der andere, was meine Arbeit umso spannender macht. Was aber natürlich immer dazugehört, sind der Austausch und die Meetings mit meinem Vorgesetzen Prof. Loskill und dem µOrganoLab-Team. Ebenso E-Mails und Telefonate, und dann natürlich auch die Öffentlichkeitsarbeit. Hier bereite ich Inhalte für verschiedene Ziel- und Interessensgruppen auf, schreibe Beiträge oder Pressemitteilungen und betreue die Social-Media-Kanäle des 3R-Centers. Besonders spannend sind für mich immer Termine mit Vertreterinnen und Vertretern der Politik oder der Presse, und natürlich Veranstaltungen wie Workshops oder Summer Schools für junge Forschende.

„Ich habe mich ganz bewusst dafür entschieden, dass ich nicht mehr so viel im Labor sein möchte.“

Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen: Aufgrund Ihrer Führungsposition und Wissenschaftskommunikation mussten Sie die Forschung erst einmal zurückstellen. Genießen Sie die Abwechslung oder sehnen Sie sich nach dem Arbeiten im Labor?

Silke Keller: Müssen ist hier eigentlich der falsche Begriff. Nach meiner Doktorarbeit und meiner Postdoc-Zeit habe ich mich ganz bewusst dafür entschieden, dass ich nicht mehr so viel im Labor sein möchte. Vielmehr wollte ich mich auf die Wissenschaftskommunikation, die Öffentlichkeitsarbeit und die Ausbildung von (Nachwuchs-)Wissenschaftler:innen fokussieren. Durch die Anbindung an Professor Loskills Arbeitsgruppe habe ich die Forschung immer noch jeden Tag um mich herum; und wenn es mich doch mal wieder ins Labor zieht, dann ist das nächste zum Glück ja nur ein paar Treppenstufen entfernt.

Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen: Wie entspannen Sie nach einem langen Arbeitstag?

Silke Keller: Nachdem der Laptop zugeklappt ist, führt mich mein erster Weg eigentlich immer erst mit meiner Hündin Milka nach draußen. Das ist für mich der perfekte Übergang in den Feierabend, und ich genieße die Runden bei Wind und Wetter im Wald oder auf den Feldern – das lüftet so richtig schön den Kopf. Ansonsten bin ich dem Reitsport von jung auf treu geblieben, wenn auch leider nicht mehr so häufig wie früher. Im Winter zieht es mich zum Skifahren in die Berge, und die restliche Zeit verbringe ich am liebsten mit meinem Partner, meiner Familie und meinen Freunden.

„Das Thema Chancengleichheit wird immer präsenter und zum Glück auch immer wichtiger!“

Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen: Noch immer sind in forschenden Berufen meist deutlich weniger Frauen als Männer vertreten. Hat sich dieses Ungleichgewicht auch in Ihrem beruflichen Werdegang widergespiegelt?

Silke Keller: Während meines Studiums und meiner Promotion war das Verhältnis zwischen Frauen und Männern immer relativ ausgewogen. Diesen Eindruck habe ich in unserem Bereich auch heute noch, und ich empfinde das Verhältnis unter den Studierenden noch als ähnlich ausgeglichen. Ich denke, dass es eher um die Folgepositionen in forschenden Berufen geht, in denen sich das Verhältnis dann eher verschiebt. Wenn Frauen eine Familie gründen und dadurch häufiger bzw. zu einem größeren Teil als ihre männlichen Kollegen im selben Karriereabschnitt ihre Arbeitszeiten reduzieren.

Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen: Haben sich Ihrer Ansicht nach bereits positive Aspekte in diesem Bereich ergeben?

Silke Keller: Ich glaube schon, dass das Thema Chancengleichheit von Eltern immer präsenter und zum Glück auch immer wichtiger wird. Besonders in der Industrie werden nach meinem Empfinden immer mehr innovative Arbeitsmodelle oder geteilte Führungen geschaffen. Da hinkt der akademische Bereich im Gesamten betrachtet noch nach. Aber auch hier habe ich das Gefühl, dass ein Umdenken teilweise bereits stattfindet. In unserer Gruppe ist es beispielsweise schon ganz normal, dass Postdocs auch in Teilzeit arbeiten und so früher wieder in den Beruf zurückkehren können. Oder auch, dass schwangere Studierende ihre Studien- oder Abschlussarbeit bei uns absolvieren und so ihr Studium bis zum Mutterschutz noch weiterführen können. Im Moment hängt das sicherlich noch ganz stark von den Vorgesetzten ab; aber ich hoffe, dass wir in diesem Prozess erst am Anfang stehen und uns der Chancengleichheit immer weiter annähern, besonders in der Forschung.

Über Dr. Silke Keller:

Portraitbild Dr. Silke Keller

Dr. Silke Keller studierte von 2009 bis 2015 „Angewandte Chemie“ und schloss diesen Studiengang mit einem Master of Science ab. Von 2016 bis 2019 war sie Doktorandin an der Universität Stuttgart und arbeitete als Postdoktorandin knapp ein Jahr am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik in Stuttgart. Sie war am Aufbau des 3R-Centers in Tübingen beteiligt und leitet inzwischen schon zweieinhalb Jahre lang die Geschäftsstelle. Seit Mai 2021 ist sie am NMI Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut in Reutlingen Projektmanagerin im EUROoC-ITN. Aktuell absolviert sie eine Weiterbildung im Zertifikatsprogramm „Wissenschaftskommunikation und Mediale Kompetenz“ an der Universität Tübingen und engagiert sich für die Kommunikation sowie die Aus- und Weiterbildung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Bereich Organ-on-Chip-Systeme als Alternativmethoden zu Tierversuchen.

Veröffentlicht: 03.04.2023

 

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