Astronautinnen und Astronauten müssen einiges bedenken und lernen, wenn sie im All unterwegs sind. Sogar der Gang zur Toilette will durchdacht sein, denn die Schwerkraft fehlt.
Franziska Wülker hat mit ihrer Erfindung die Raumfahrt revolutioniert: Die Ingenieurin hat eine Toilette entworfen, die Gerüche und Bakterien deutlich reduziert, leicht ist und wenig Energie verbraucht. Mit ihrer innovativen Entwicklung für den Weltraum erreichte sie 2020 den dritten Platz der NASA Lunar Loo Challenge, die mit einem Preisgeld von insgesamt 35.000 Dollar dotiert war.
Anfangs war der Toilettengang in der Raumfahrt alles andere als angenehm – die Astronauten der ersten Stunde trugen nämlich Windeln. Diese Zeiten sind zwar längst vorbei, doch die Herausforderung bleibt: Wo keine Schwerkraft ist, hebt alles und jeder ab. Aus diesem Grund funktionieren Weltraumtoiletten mit Unterdruck, wodurch alles an- und abgesaugt wird. Dennoch werden immer wieder neue Materialien und Systeme getestet, um den Aufenthalt im All so angenehm wie möglich zu machen.
Schräges Thema – wichtiges Detail der Raumfahrt
Auf den ersten Blick mag dieses Thema eher befremden, doch in der Raumfahrt muss jedes Detail durchdacht werden. Daher schrieb die NASA 2020 den Wettbewerb „Lunar Loo Challenge“ aus. Die NASA bereitet perspektivisch eine erneute Landung auf dem Mond vor und suchte nach einer Toilette, die kleiner, deutlich leichter und effizienter ist.
Franziska Wülker hat bei der Lunar Loo Challenge mitgemacht. Sie absolvierte ihr Bachelor- und Masterstudium am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) im Bereich Maschinenbau (Mechanical Engineering). Bereits während des Studiums sammelte sie praktische Erfahrungen beim Hochtechnologieunternehmen Trumpf und war Student Assistant am KIT. Seit 2017 arbeitet die Ingenieurin beim Designbadhersteller Duravit AG – und entwickelte dort als Development Engineer eine Toilette für den Weltraum, mit der sie es beim NASA-Wettbewerb als einzige weibliche und deutsche Einzelperson unter die ersten Drei schaffte.
Auf den Forschungserfolg folgte mehr Verantwortung: Seit knapp eineinhalb Jahren ist Franziska Wülker als Head of Research and Development (Abteilungsleiterin) bei der Duravit AG. Welche Hindernisse sie in ihrer beruflichen Laufbahn bereits überwinden musste und was sie zur Entwicklung einer Toilette für den Weltraum motivierte, erzählt Franziska Wülker im Interview.
Vom Zeitungsartikel zur Wettbewerbsteilnehmerin
Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen: Frau Wülker, Sie haben eine Toilette erfunden, die sowohl in der Schwerelosigkeit im Weltraum als auch mit wenig Schwerkraft funktioniert, wie beispielsweise auf dem Mond. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine derartige Toilette zu entwickeln? Gab es bestimmte Impulse?
Franziska Wülker: Ich hatte in der Süddeutschen Zeitung von der NASA Lunar Loo Challenge gelesen, und das Thema hat mich direkt interessiert. Allerdings kam der eigentliche Impuls von meinem Vorgesetzten, der von dem Wettbewerb auch gehört hatte und mich fragte, ob ich nicht Lust hätte, mitzumachen – da habe ich natürlich nicht Nein gesagt.
Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen: Mit Ihrer Erfindung haben Sie 2020 sogar den dritten Platz der NASA Lunar Loo Challenge belegt. Was bedeutete diese Auszeichnung für Ihre weitere berufliche Laufbahn?
Franziska Wülker: Sicherlich war die Auszeichnung für mich, wie auch für meine Kolleginnen und Kollegen, ein Grund zum Feiern. Aber inwiefern sich das auf meine berufliche Laufbahn ausgewirkt hat, kann ich nur bedingt beantworten, weil ich nach wie vor bei Duravit tätig bin. Auch meine Aufgaben haben sich seitdem kaum verändert, da ich mich überwiegend mit alltäglichen Entwicklungsprojekten beschäftige. Was ich jedoch definitiv beobachten konnte, waren die gesteigerte Sichtbarkeit und das Interesse an meiner Arbeit und mir.
Neue Technologie für den Weltraum: Eineinhalb Monate zur Lösung der Aufgabe
Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen: Vor welche Herausforderungen wurden Sie bei der Entwicklung der Toilette für den Weltraum gestellt und wie haben Sie diese bewältigt?
Franziska Wülker: Die größte Herausforderung war tatsächlich die Zeit. Lediglich eineinhalb Monate lagen zwischen der Ausschreibung der Challenge und der Abgabe – das war zweifelsohne ein straffes Programm. Zudem musste das Mondklo einigen Anforderungen entsprechen: Es musste in der Schwerelosigkeit ebenso wie bei Mondschwerkraft funktionieren und sicher für den Benutzer sein. Außerdem mussten gewisse Maße und die Obergrenze für das Gewicht eingehalten werden. Zudem sollte das WC über ein Fassungsvermögen für einen Toilettengang verfügen.
Um da nicht den Überblick zu verlieren, habe ich das Ganze bewusst in Teilprobleme zerlegt und überlegt, was am wichtigsten ist, und diese Teilaufgaben dann Stück für Stück abgearbeitet. An erster Stelle standen für mich die Funktion in der Schwerelosigkeit/Mondschwerkraft und die Sicherheit der Astronautinnen und Astronauten. So habe ich mich von den wichtigsten Prioritäten zu den kleineren Details durchgearbeitet.
Unendliche Möglichkeiten im Bereich MINT
Franziska Wülker: Schon in der Schule haben mir die technischen Fächer und Mathe am meisten Spaß gemacht. Was mich an den MINT-Fächern zudem reizte, waren die schier unendlichen Möglichkeiten, die einem ein Studium in diesem Gebiet eröffnet.
Zudem war es mir bereits bei der Studiengang-Auswahl wichtig, im Nachgang einen guten Job zu finden, von dem man auch mit Familie gut leben kann.
Schlussendlich habe ich mich für die Richtung Maschinenbau entschieden, weil ich im Bekanntenkreis viel Gutes darüber gehört hatte, eine Freundin das Studium bereits begonnen hatte und Spaß daran hatte.
Masterarbeit in Norwegen
Franziska Wülker: Nachdem ich während meines Bachelor- und Masterstudiums in Karlsruhe gelebt hatte, wollte ich unbedingt noch etwas Neues sehen und eine andere Uni kennenlernen. Für Norwegen habe ich mich dann wegen der atemberaubenden Natur entschieden. Wer gerne draußen unterwegs ist und auch Sport macht, dem wird dort einiges geboten, und es gibt viel zu entdecken.
Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen: Seit fast sechs Jahren arbeiten Sie bereits bei der Duravit AG und sind dort mittlerweile Leiterin der Abteilung „Research & Development“. Wie läuft ein typischer Arbeitstag bei Ihnen ab?
Franziska Wülker: Mein Arbeitsalltag besteht aus relativ vielen Meetings: So sprechen wir in Projektmeetings über die bisherigen Schritte, schauen uns Prototypen an und planen die weitere Vorgehensweise. Daneben bespreche ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen, wer an welchen Projekten arbeitet und wo es eventuell Probleme oder knappe Ressourcen gibt. Zusätzlich bin ich regelmäßig bei Treffen mit externen Dienstleistern und Lieferanten oder auch Designern, mit denen wir bei Duravit eng zusammenarbeiten.
Meine Abteilung kümmert sich außerdem um Patente; dementsprechend stehen immer wieder Patentrecherchen an oder ich telefoniere mit unserem Patentanwalt, wenn wir beispielsweise gerade an einer Patentanmeldung arbeiten.
Auch als Führungskraft weiter Teil der Forschung
Franziska Wülker: Obwohl ich in einer Führungsposition bin, bin ich dennoch Teil der Entwicklungsprojekte. Sicherlich bin ich nicht mehr diejenige, die sich in der Tiefe mit allen Details einer Lösung beschäftigt, das fehlt mir schon ab und zu. Allerdings habe ich in meiner jetzigen Position auch die Möglichkeit, viele Projekte parallel zu beobachten. Oft kann ich auf diese Weise Gedanken und Ideen für ein anderes Projekt adaptieren.
Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen: Noch immer sind in technischen Berufen meist deutlich weniger Frauen als Männer vertreten. Hat sich dieses Ungleichgewicht in Ihrem beruflichen Werdegang auch widergespiegelt?
Franziska Wülker: Während meines Studiums waren wir Frauen ganz klar in der Unterzahl. Damals hatte ich mir deswegen Gedanken gemacht, ob ich es als Frau besonders schwer haben würde. Bestätigt haben sich diese Sorgen allerdings nie, denn ich hatte nie den Eindruck, dass ich es schwerer hätte oder weniger ernst genommen würde als meine männlichen Kollegen.
Jetzt im Arbeitsleben bei Duravit ist das Ungleichgewicht zwischen Frauen und Männern immer noch vorhanden, aber immerhin sind wir zwei Frauen in einem neunköpfigen Entwicklungsteam. In vergangenen Bewerbungsprozessen hatten sich für mein Team überraschend viele Frauen beworben. Natürlich waren es in der Mehrheit Männer, aber ich habe das Gefühl, dass sich dieses Ungleichgewicht immer weiter ausgleicht.
Frauen in MINT-Berufen als Vorbilder
Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen: Was muss Ihrer Meinung nach unternommen werden, damit sich daran etwas ändert?
Franziska Wülker: Meiner Meinung nach ist es besonders wichtig, Vorbilder und Beispiele für Frauen in MINT-Berufen aufzuzeigen. Ich denke, dass es sich Mädchen und junge Frauen eher überlegen, ob der Bereich auch etwas für sie sein kann, wenn sie mehr Ingenieurinnen, Informatikerinnen und Mathematikerinnen sehen.
Im Studium gab es ab und zu Professoren, die doppeldeutige Sprüche gebracht haben. Solche banalen Kommentare zerstören das komplette Klima, wodurch man sich als Studentin weder willkommen noch erwünscht fühlt.
Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen: Tut sich Ihrer Ansicht nach bereits etwas, um Mädchen und junge Frauen für MINT zu begeistern?
Franziska Wülker: Auf jeden Fall! Als ich zur Schule gegangen bin, gab es bereits den Girls‘Day, wo insbesondere Mädchen und jungen Frauen die Möglichkeiten im MINT-Bereich aufgezeigt werden. Auch weitere Angebote und Mentoringprogramme haben zugenommen. Außerdem bietet beispielsweise die Hochschule Offenburg ein „startING-Semester“ an, bei dem man in ein Technikstudium hineinschnuppern kann, ohne sich direkt auf den Studiengang festlegen zu müssen. Dieses Programm ist nicht speziell auf Frauen zugeschnitten, aber es ist definitiv eine tolle Möglichkeit, um letzte Bedenken bei einem technischen Studiengang aus dem Weg zu räumen.
Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen: Abschließend noch eine Frage in Richtung Privates und Ausgleich zum Job: Wie entspannen Sie nach einem langen Arbeitstag?
Franziska Wülker: Entweder durch Laufen oder Radfahren an der frischen Luft oder im Keller beim Schreinern. Hauptsache, was mit den Händen oder zum Verausgaben und Hirnauslüften.
Franziska Wülker absolvierte von 2010 bis 2016 sowohl ihr Bachelor- als auch ihr Masterstudium in „Mechanical Engineering“ am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Ihre Masterarbeit zu „Materialmodellierung bei obstruktiver Schlafapnoe“ schrieb sie in Norwegen. Dabei simulierte sie anhand von CT-Scans von Patientinnen und Patienten die Geometrie der oberen Atemwege am Computer und versuchte so herauszufinden, ob an der Geometrie der Atemwege zu erkennen ist, wo die Atemwege im Schlaf blockiert werden. Kein typisches Maschinenbauthema – sondern mit Bezug zur Medizin. Seit knapp 6 Jahren arbeitet sie bei der Duravit AG und hat dort als Development Engineer eine Weltraumtoilette entwickelt. Seit knapp eineinhalb Jahren ist sie Head of Research and Development und koordiniert ihre eigene Abteilung.
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