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Als Gleichstellungsbeauftragte der Dualen Hochschule Baden-Württemberg setzt sich die Elektroingenieurin Professorin Anke Gärtner-Niemann für einen gendergerechten Umgang und mehr Diversität im MINT-Bereich ein

Prof. Dr. Anke Gärtner-Niemann steht vor ihren Student:innen und erklärt etwas mit Gestik
Nicht erst seit Einführung der Frauenquote in Unternehmen ist die Bewegung für mehr Gleichberechtigung und Diversität im Beruf in vollem Gange. Dabei geht es nicht nur darum, Frauen in die Vorstände aufzunehmen, sondern vor allem um Chancengleichheit für Frauen und Männer – auch in technischen Berufen.

Dafür setzt sich Professorin Anke Gärtner-Niemann ein. Sie ist neben ihrer Tätigkeit als Studiengangsleiterin im Studiengang Elektrotechnik die Gleichstellungsbeauftragte der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart. In ihrem Amt möchte sie jungen Frauen Mut machen, sich für einen technischen Beruf zu entscheiden und engagiert sich für einen gendergerechten Umgang in dualen Hochschulen.

Die Elektroingenieurin war selbst eine von wenigen Frauen in ihrem Technikstudium und gehört heute zu einer Minderheit der Frauen mit einer Technikprofessur. Das soll sich ihrer Meinung nach ändern, denn Mädchen verfügen über viele naturwissenschaftliche Kompetenzen und bringen andere Blickwinkel in MINT-Fächer ein.

Im Interview mit der Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen gibt Prof. Anke Gärtner-Niemann uns einen Einblick in ihren Arbeitsalltag und ihre Tätigkeit als Gleichstellungsbeauftragte, und spricht von ihren Erfahrungen als Frau in der Elektrotechnikbranche.

Chancengleichheit im wissenschaftlichen Bereich

Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen: Frau Professorin Gärtner-Niemann, Sie sind Gleichstellungsbeauftragte der DHBW Stuttgart. Wie sind Sie zu diesem Amt gekommen, und was sind Ihre genauen Aufgaben?

Prof. Anke Gärtner-Niemann: Das Amt ist ein Wahlamt, ich wurde vom örtlichen Senat der DHBW Stuttgart gewählt und bin bereits in der dritten Amtszeit. Zudem war ich mehrere Jahre zentrale Gleichstellungsbeauftragte der DHBW. Der Auftrag der Gleichstellungsbeauftragten ist im Landeshochschulgesetz niedergelegt. Die Gleichstellungsbeauftragte unterstützt die Hochschule bei der Umsetzung der Chancengerechtigkeit im wissenschaftlichen Bereich und setzt sich für Diversität ein. Wichtige Ziele sind die Erhöhung des Professorinnenanteils, der derzeit an der DHBW Stuttgart bei 21 Prozent liegt, sowie die Steigerung des Anteils von Studentinnen in technischen Fächern. Derzeit sind an der Fakultät Technik der Dualen Hochschule in Stuttgart 18 Prozent der Studierenden weiblich.

Das daraus resultierende Aufgabenspektrum ist sehr vielfältig. So ist in jedem Berufungsverfahren zur Neubesetzung einer Professur die Gleichstellungsbeauftragte Mitglied der Berufungskommission. Als Gleichstellungsbeauftragte setze ich mich auch für geschlechtersensible Sprache und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie an der Hochschule ein. Hinzu kommen gleichstellungsfördernde Projekte wie der Schülerinnen-Info-Tag „Erlebe Technik“ in Zusammenarbeit mit Partnerfirmen oder unser „Professorinnennetzwerk“.

Die Motivation für mein Engagement für mehr Diversität schöpfe ich aus der Überzeugung, dass von einer gerechten und paritätischen Arbeitswelt ohne Geschlechterstereotype, ohne veraltete Rollenbilder und ohne strukturelle Hindernisse die ganze Gesellschaft profitieren wird.

„Vorbilder für Diversität spielen in der Berufswahl eine große Rolle“

L. F. i. M.-B.: Neben Ihrer Tätigkeit als Gleichstellungsbeauftragte sind Sie auch Leiterin des Studiengangs Elektrotechnik und kommissarische Leiterin des Studiengangs Embedded Systems. Damit sind Sie eine von wenigen Frauen mit einer Technikprofessur. Sehen Sie das als Vorteil, um Frauen für technische Berufe zu motivieren?

Prof. Anke Gärtner-Niemann: Vorbilder spielen in der Berufswahl eine große Rolle, dies ist wissenschaftlich gut belegt. Es ist mir seit jeher ein großes Anliegen, Mädchen und junge Frauen für die Technik zu begeistern. Dafür habe ich mit meiner Position und meinem Erfahrungsschatz gute Voraussetzungen. Allerdings reicht das Vorbild einer einzigen Professorin bei weitem nicht aus. Junge Frauen brauchen ein breites Spektrum an sichtbaren weiblichen Role Models mit verschiedensten Karrierewegen im technischen Bereich, unter denen sie Identifikationsfiguren finden können.

„Die Faszination für Mathematik war schon immer da“

L. F. i. M.-B.: Wie kamen Sie zur Elektrotechnik? Waren Sie schon immer an diesem Fachgebiet interessiert oder kam die Faszination für Ingenieurswissenschaften erst mit dem Studium?

Prof. Anke Gärtner-Niemann: Ich hatte immer schon ein großes Interesse an Mathematik. Daher suchte ich mir bewusst ein technisches Studium aus, das einen besonders hohen und anspruchsvollen Mathematikanteil enthält. Diese Erwartung wurde nicht enttäuscht.

L. F. i. M.-B.: Was fasziniert Sie an der Elektrotechnik besonders?

Prof. Anke Gärtner-Niemann: Es begeistert mich, mit mathematischen Methoden und Modellen ganz reale Probleme zu lösen. Es gibt keinen Lebensbereich, der ohne Elektrotechnik auskommt. Innovationen in diesem Fachgebiet können die Gesellschaft verändern. Es gibt eine große Bandbreite an Themenfeldern, die in der nächsten Zukunft hochgradig relevant sein werden, vom autonomen Fahren bis hin zur technischen Unterstützung in der Pflege.

Prof. Anke Gärtner-Niemann lacht in die Kamera neben Student:innen der DHBW Stuttgart
Bild: © DHBW / Sebastian Berger

„Die Bedeutung von Frauennetzwerken habe ich früh kennengelernt“

L. F. i. M.-B.: Wie haben Sie Ihre Rolle als Kommilitonin wahrgenommen? War die Zusammenarbeit mit männlichen Studierenden angenehm?

Prof. Anke Gärtner-Niemann: Ich habe stets gut mit meinen Kommilitonen zusammengearbeitet. Mit großem Engagement erklärten sie mir Sachverhalte, wenn ich Fragen hatte. Allerdings sahen sie sich auch häufig in der Erklärer- oder Beschützerrolle, wenn dies gar nicht nötig war. Es dauerte eine Weile, bis ich mir ein gewisses Standing erarbeitet hatte und meine Kompetenz auch anerkannt wurde. Schlussendlich habe ich meinen Platz und meine Akzeptanz in der Studierendengemeinschaft gefunden.

L. F. i. M.-B.: Inwieweit hat es Sie geprägt, dass Sie als Frau in einem technischen Studiengang immer zu einer Minderheit gehörten?

Prof. Anke Gärtner-Niemann: Diese Minderheitenrolle hat mich stark geprägt. Ich war immer „anders“, konnte nie einfach in der Masse verschwinden. Ich habe aber gelernt, diese Sichtbarkeit zu nutzen und meine Anliegen auch in großen Gruppen mit Nachdruck vorzubringen. Mit den wenigen anderen Frauen im Studiengang war ich gut vernetzt, die Bedeutung von Frauennetzwerken habe ich daher früh kennengelernt.

L. F. i. M.-B.: Bevor Sie 2013 zur DHBW wechselten, hatten Sie einige Jahre als Ingenieurin in einem Unternehmen gearbeitet. Wie wurden Sie als Frau in der noch immer eher männerdominierten Branche aufgenommen?

Prof. Anke Gärtner-Niemann: Ich war in einem internationalen Konzern mit französischer Leitung tätig. Hier waren Frauen in der Technik schon damals viel selbstverständlicher als in Deutschland, wo leider oft noch veraltete Stereotype existierten. Glücklicherweise ist aber auch hier das Zeitalter der Herrenwitze vorbei. In Kollegiumskreisen war ich immer anerkannt, auch wenn ich mir manchmal mehr Perspektivenvielfalt gewünscht hätte.

„Bei Diversität im Technikstudium ist noch ein weiter Weg zu gehen“

L. F. i. M.-B.: Trauen sich junge Frauen Ihrer Meinung nach heute eher, einen technischen Studiengang zu wählen als zu der Zeit als Sie Abitur gemacht haben? Was beobachten Sie bei Ihrem Studiengang?

Prof. Anke Gärtner-Niemann: Die Frage zeigt exemplarisch, dass noch ein weiter Weg zu gehen ist. Niemals würde man einen jungen Mann fragen, ob er sich „traut“, ein Technikstudium zu beginnen. Bei jungen Frauen gehört leider tatsächlich neben Interesse und Begabung immer noch eine gehörige Portion Mut dazu. Wenn man die reinen Zahlen vergleicht, geht es zwar aufwärts. In meinem Semester damals lag der Frauenanteil unter zehn Prozent, an der DHBW Stuttgart hatten wir in den letzten Jahren um die 16 Prozent im Studiengang Elektrotechnik. Aber man muss auch sehen, dass zwischen diesen Zahlen 30 Jahre liegen, in denen es deutlich mehr Fortschritt hätte geben können. Auch heute noch nehmen die Studentinnen eine deutliche Minderheitenrolle ein. Und eine solche kostet viel Kraft, die dann gegebenenfalls nicht für die eigentlichen Inhalte des Studiums zur Verfügung steht. Der große Unterschied zu früher ist, dass wir dies als Hochschule nun im Fokus haben.

„Ein Zuwachs an Interdisziplinarität und Diversität kann die Fachkultur bereichern“

L. F. i. M.-B.: Wie können technikinteressierte Mädchen motiviert werden, sich für einen technischen Beruf zu entscheiden?

Prof. Anke Gärtner-Niemann: Ich halte es für wichtig, dass Mädchen sich an einer großen Vielfalt von weiblichen Role Models orientieren können, die die verschiedensten Karrierewege im Technikumfeld eingeschlagen haben. Außerdem müssen Mädchen die Möglichkeit haben, die Technik überhaupt kennenzulernen und festzustellen, wie spannend sie sein kann. In der Lebenswirklichkeit von Mädchen kommt die Beschäftigung mit elektrotechnischen Problemstellungen aktuell nicht vor.

Ein weiterer Aspekt ist mir auch sehr wichtig: Damit ein Technikstudium für junge Frauen erstrebenswert wird, reicht es nicht, bei den Mädchen anzusetzen und diese zu „motivieren“. Ein sichtbarer Wandel in der Fachkultur kann eine deutliche Attraktivitätssteigerung bewirken. Häufig möchten sich junge Frauen gesellschaftlich relevanten Themen widmen. Wenn nicht mehr nur die technische Lösung im Vordergrund steht, sondern vor allem deren Potenzial, den Menschen zu helfen, ist ein großer Schritt zur Veränderung getan. Ein Zuwachs an Interdisziplinarität und Diversität kann die Fachkultur bereichern und zugleich Frauen besser ansprechen. Eine klassische Win-win-Situation! Als Professorin in der Technik und als Gleichstellungsbeauftragte leiste ich gerne einen aktiven Beitrag zu dieser Entwicklung.

„Für das Elektrotechnik Studium sind keine Vorerfahrungen notwendig“

L. F. i. M.-B.: Welche Qualitäten und Interessen sollten junge Menschen – insbesondere Frauen – mitbringen, die in der Elektrotechnik arbeiten möchten?

Prof. Anke Gärtner-Niemann: Das Wichtigste ist eine gewisse Begeisterung für Mathematik und logische Zusammenhänge. Auch Kommunikationsfähigkeit und Teamorientierung sind wesentliche Kompetenzen. Es ist definitiv nicht notwendig, vor dem Studium schon Platinen gelötet und Rechner programmiert zu haben. Dieses Vorurteil hält leider viele junge Frauen von einem Elektrotechnikstudium ab.

 

L. F. i. M.-B.: Erkennen Sie bei Ihren Studierenden unterschiedliche Herangehensweisen von Frauen und Männern?

Prof. Anke Gärtner-Niemann: Die Herangehensweise hängt sehr viel mehr an der Persönlichkeit als am Geschlecht. Wenn man aber partout ein Muster erkennen will, würde ich sagen, dass Studenten oft sehr viel hemdsärmeliger voranschreiten und einfach ausprobieren, während Studentinnen die Thematik zunächst theoretisch durchdringen möchten. Dies könnte aber auch an der Minderheitenrolle liegen, die manchmal das Selbstvertrauen beeinträchtigt. Vielleicht möchten sie zunächst perfekt vorbereitet sein, bevor sie den Mut haben, sich der praktischen Aufgabe zu stellen?

„Diversität ist anstrengend“

L. F. i. M.-B: In den letzten Jahren wurde die Diversity-Bewegung immer stärker. Was bedeutet Diversität im Studium und am Arbeitsplatz für Sie?

Prof. Anke Gärtner-Niemann: Ich halte Diversität und die damit einhergehende Perspektivenvielfalt für extrem wichtig, insbesondere bei der Entwicklung technischer Lösungen. Was dabei jedoch unterschätzt wird: Diversität ist anstrengend! Es ist viel einfacher, sich in einer „Blase“ von Menschen mit gleichen Perspektiven und Meinungen zu bewegen. Das reale Risiko, in dieser Einigkeit einen falschen Weg einzuschlagen und zu scheitern, ist in der Blase allerdings nicht sichtbar. Daher sollte im Studium ein Fokus darauf liegen, zu vermitteln, dass Diversität nicht nur gesellschaftlich bereichernd ist, sondern insbesondere im Entwicklungsumfeld zu einem besseren Gesamtergebnis führt, auch wenn der Weg dorthin gegebenenfalls etwas steiniger ist.

Wir bedanken uns bei Prof. Anke Gärtner-Niemann für das Gespräch und wünschen ihr alles Gute!

Portrait Prof. Anke Gärtner-Niemann

Bild: © DHBW Stuttgart

Infos zu Frau Prof. Anke Gärtner-Niemann

Prof. Anke Gärtner-Niemann hat an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen Elektrotechnik studiert. Nach dem Studium arbeitete sie bei Alcatel SEL, später Alcatel-Lucent, heute Nokia, und entwickelte Algorithmen zur Dimensionierung von UMTS-Mobilfunknetzen. Seit 2013 ist sie Professorin im Studiengang Elektrotechnik an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW). Neben der Leitung des Studiengangs Elektrotechnik und der kommissarischen Leitung des neuen Studiengangs Embedded Systems hat sie außerdem das Amt der Gleichstellungsbeauftragten der DHBW Stuttgart inne und setzt sich dafür ein, junge Frauen für ein Studium im MINT-Bereich zu gewinnen. Prof. Anke Gärtner-Niemann lebt mit ihren vier Kindern und ihrem Mann in Stuttgart.

Veröffentlicht: 27.01.2022

 

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