„Welche Chancen gibt es für Frauen in (MINT)-Klimaschutzberufen?“ Mit dieser Frage befassten sich am 19. Juli 2023 rund 90 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 7. Virtuellen Netzwerktreffens im Rahmen des Beteiligungsprogramms@MINT. Sie erlebten inspirierende Vorträge von Role Models und bekamen Einblick in das Leben von MINT-Frauen, die sich in vielfältiger Weise für den Klimaschutz einsetzen. Dabei zeigte sich, dass das Wirken für den Klimaschutz eine Angelegenheit von Menschen mit ausgeprägten Kompetenzen und großer Leidenschaft ist, die die Transformation gestalten wollen. „Mit einem technischen Beruf oder mit einer technischen Ausbildung hat man die größte Chance, zum Weltretter zu werden“, fasste es Dr. Christine Lemaitre, Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB), in ihrer Keynote zusammen.
Mädchen und Frauen für attraktive MINT-Berufe begeistern
Dr. Birgit Buschmann, Leiterin des Referats Wirtschaft und Gleichstellung im Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg betonte in ihrer Begrüßung die Bedeutung von MINT-Fachkräften für die Lösung von zukunftsweisenden Aufgaben im Kontext des Klimaschutzes. Schon jetzt, so Dr. Birgit Buschmann unter Verweis auf den MINT-Frühjahrsreport des Instituts der deutschen Wirtschaft, gebe es eine große Fachkräftelücke in MINT-Berufen in Baden-Württemberg von rund 49.000 Personen.
Es sei daher essenziell, auch Mädchen bereits frühzeitig für MINT-Bereiche zu begeistern und wirkungsvolle Maßnahmen entlang der MINT-Bildungskette anzubieten. Für Unternehmen seien eine moderne Unternehmenskultur, zielgruppengerechtes Recruiting und Personalstrategien wichtig, um mehr Mädchen und Frauen zu gewinnen und zu binden. Dabei sei gerade das Thema Klimaschutz und Energiewende sehr geeignet, um Frauen anzusprechen. Denn sie wollen „an nachhaltigen Zukunftslösungen für unsere Gesellschaft mitarbeiten, etwa bei der Gestaltung der Energiewende, um die Welt besser zu machen“.
Warum Gebäude uns alle angehen
MINT-Berufe bieten hervorragende Chancen, sich für Klimaschutz und Energiewende einzusetzen. Dazu gehört auch der Bereich Bauen und Wohnen, den Dr. Christine Lemaitre in ihrer Keynote „Nachhaltig ist das neue Normal – Warum Gebäude uns alle angehen“ vorstellte. Die promovierte Bauingenieurin arbeitete unter anderem in den Vereinigten Staaten und bei verschiedenen Baukonzernen, bevor sie 2010 Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB), des größten Netzwerks für nachhaltiges Bauen in Europa, wurde. Erklärtes Ziel des 2007 gegründeten Vereins ist: „Wir wollen die Welt retten.“ Gebäude sind ein Schlüssel für den Klimaschutz, denn das Baugewerbe belastet durch seine Emissionen das Klima besonders stark. Durch einen Paradigmenwechsel zu einem klimapositiven Bauen und Betreiben von Gebäuden könne in diesem Sektor zugleich besonders viel Gutes bewirkt werden, so Dr. Christine Lemaitre. Zudem müsse das Know-how der Fachkräfte erweitert werden: „Nachhaltigkeit ist ein ständiges Lernen. Und es geht jetzt erst richtig los.“ Es gebe viel zu tun, umso wichtiger sei, jetzt damit anzufangen, so der DGNB-Vorstand!
MINT bedeutet nicht nur Technik und Mathematik, sondern auch Handwerk
Die Vielfalt von MINT-Berufen im Kontext des Klimaschutzes zeigten fünf junge Frauen auf, die persönliche Einblicke in ihre jeweilige Tätigkeit vermittelten.Marlene Günthner hat bei ROM Technik GmbH & Co.KG den Beruf der Technischen Systemplanerin erlernt und ist jetzt als Ausbilderin im Unternehmen tätig. Sie erstellt unter anderem intelligente 3D-Modelle, bei denen sie die einzubauenden Bauteile beurteilt. In ihrem Berufsalltag leistet sie durch den Einsatz klimafreundlicher Brennstoffe sowie die stetige Weiterentwicklung nachhaltiger Arbeitsabläufe einen Beitrag zum Klimaschutz.
Wärmepumpen zum Heizen und Kühlen verwenden
Mit einem für den Klimaschutz wichtigen Thema aus dem Bereich Mobilität befasst sich auch Maria Sol Rau: Fliegen umweltschonender zu machen. Die Argentinierin ist promovierte Chemikerin und hat in Deutschland lange zu Brennstoffzellen und Elektrokatalyse geforscht. „Während meines Studiums habe ich gemerkt, dass mich vor allem Batterien interessieren.“ Ihr Wissen setzt sie heute bei H2FLY als Projektmanagerin ein und arbeitet daran, Flüssig-Wasserstoff als Treibstoff für Flugzeuge zu entwickeln.
Das Thema „Wärmepumpen“ erfährt derzeit in Zusammenhang mit dem geplanten Gebäudeenergiegesetz sehr hohe Aufmerksamkeit. Dr. Lena Maria Vogt arbeitet bei der Mercedes Benz AG daran, die Abwärme von Wärmepumpen zu nutzen und den Stromverbrauch zu reduzieren – vor allem bei Elektroautos. „Bei Verbrennerautos nutzt man die Motorwärme, das geht bei E-Autos nicht“, erklärt die Physikerin. „Bei E-Autos nutzt man die Abwärme zum Kühlen oder entzieht der Umgebungsluft Wärme.“ „Bis 2050 wird eine Verdreifachung des Energiebedarfs erwartet, um Gebäude zu kühlen“, zitierte Vogt die Internationale Energieagentur.
„Change habits, not climate“
Auch Rebecca Heckmann arbeitet am Thema Strom und E-Autos. Sie hat Verkehrstechnik und Energietechnik studiert und ist seit Anfang 2023 Head of Project Management bei dem Techunternehmen elexon. „Klimaschutz ist wichtig für mich, ich will meinen Beitrag leisten“, sagte sie. Ihre Aufgabe ist unter anderem, die Infrastruktur für Ladestationen auszubauen, „und ich will Strom in Autos bringen“. Sie denkt aber weiter: „Ich arbeite daran, dass wir Autos nachhaltig laden, unsere Kühlschränke betreiben, Licht in unserem Zuhause anschalten und dafür keine Kohlekraftwerke anwerfen müssen, sondern Sonne, Wind- und Wasserkraft dafür nutzen.“ Rebecca Heckmann will etwas bewirken, um die Erde lebenswert zu erhalten – und das beflügelt sie. So sehr, dass der Spruch „Change habits, not climate“ („Verändere das Verhalten, nicht das Klima“) als Tattoo auf ihrem Oberschenkel prangt.
Ein E-Auto fährt auch Dr. Claudia Berger. „Und zwar mit Ökostrom von EnBW.“ Bei dem Unternehmen arbeitet die Bauingenieurin als Projektleiterin und Bauleiterin für Wasserkraft im Bereich Engineering. „Ich bin am Neckar groß geworden und wollte einen Job mit Wasser“, stellte sie sich vor. Den hat sie – und wirkt beim Neubau von Wasserkraftwerken bis hin zur bautechnischen Sanierung mit. „Es geht aber gerade beim Klimaschutz darum, unsere bestehenden Wasserkraftwerke zu pflegen. Sie bieten immer Energie, denn Wasser fließt immer und ist immer in Bewegung.“ Bei ihrer täglichen Arbeit beschäftigt sich Dr. Claudia Berger auch mit dem Schutz von Fischen und allen Lebewesen, die im Wasser leben. Dabei werden sogenannte „Fischtreppen“ gebaut, die es den Tieren ermöglichen, geschützt an Kraftwerken vorbeizukommen.
Jana Nowak holte die Runde in Breakout-Session 1 zum Thema „Die Bauwende gestalten“ ab. Ihr Ansatz ist „Gemeinsam“. Die Bauingenieurin hat ihr Studium vor sechs Jahren abgeschlossen und ist in der Tragwerk- und Fassadenplanung bei knippershelbig tätig. Zunächst zeigte sie, dass viele Menschen ihre Gewohnheiten im Privatleben zum Wohle von Umwelt und Klima umstellen. Diese Denkweise projizierte sie dann auf das Berufsleben: In ihrem Unternehmen hat sie eine eigene Abteilung zu Nachhaltigkeit aufgebaut und sich mit anderen Akteuren der Branche zusammengetan. Heraus kamen die Netzwerke „Stuttgarter Nachhaltigkeitsstammtisch“ und das „Attitude Building Collective“ im Bereich Bauen und Wohnen, in denen sich die Mitglieder austauschen und treffen können: „Vernetzung ist wichtig, denn so tauschen wir Fachwissen aus, inspirieren uns und bringen uns gegenseitig auf neue Ideen.“ Informationsvermittlung sei entscheidend, damit junge Frauen überhaupt kennenlernen könnten, welche Möglichkeiten und hervorragenden Perspektiven sie im MINT-Bereich haben.
Erst Lehramt, dann Anlagenmechanikerin
Um die vielen MINT-Ausbildungsberufe im Handwerk ging es in der zweiten Breakout-Session. Antonella Menrath, Auszubildende zur Anlagenmechanikerin SHK (Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik) bei der Friedrich Morsch GmbH & Co. KG, berichtete von ihrem Weg in den MINT-Beruf. Ursprünglich wollte sie Gymnasiallehrerin werden, doch ihr Bachelorstudium fand wegen der Pandemie fast nur online statt. Nach dem Bachelor-Abschluss war sie ratlos, wie es weitergehen sollte. Bei einem Abendessen schlugen ihre Eltern vor: „Dann kommst du eben zu uns in den Betrieb.“ Die Tochter hatte bis dahin nichts mit Handwerk am Hut. Heute weiß sie, dass es der richtige Weg war und teilt ihre Erfahrungen auf Social Media. Damit will sie den Nachwuchs für das Handwerk begeistern – mit Erfolg: Im September fängt eine junge Frau im elterlichen Betrieb als Auszubildende an.
Maria Grundler, bei der Breakout Session als Expertin von der Handwerkskammer Konstanz dabei, vertrat das Handwerk in Baden-Württemberg und will mehr Schülerinnen und Schüler für das Handwerk begeistern und gewinnen. Denn gerade für die Gestaltung der aktuellen Herausforderungen wie der Energie- oder Wärmewende werden Handwerkerinnen und Handwerker unbedingt benötigt.
In der dritten Breakout Session ging es um das Thema „Gemeinsam für ein besseres Klima in Stuttgart“. Zunächst boten die beiden Referentinnen Nathalie da Silva, Geschäftsführerin der Visioverdis 2.0, und Sophie Mok, Urban Greening Expertin bei The Nature Conservancy und Projektleiterin der EFEU-Linie im Stuttgarter Klima-Innovationsfonds, eine Einführung ins Thema. Anschließend stellten sie den Stuttgarter Klima-Innovationsfonds und die Rahmenbedingungen vor, unter denen der Fonds in Anspruch genommen werden kann.
MINT-Handwerk nachhaltig fördern
Zum Ausklang des 7. MINT-Netzwerktreffens kamen schließlich alle Referentinnen und Referenten sowie alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch einmal virtuell zusammen, um sich über die gewonnenen Erkenntnisse dieses Nachmittags auszutauschen. Überraschend für viele war das Imageproblem des Handwerks: Lieber studieren, als körperlich arbeiten – solche Vorurteile sitzen noch in vielen Köpfen, unter anderem bei Eltern. Es muss aber in den Vordergrund gestellt werden, dass das Handwerk nicht nur einen goldenen Boden hat, sondern attraktive (MINT-)Karriereperspektiven bietet. Klimaschutz und die Energiewende können ohne das Handwerk nicht gelingen. „Wenn wir über MINT und Klimaschutz sprechen, sollten wir immer das Handwerk mitdenken“, fasste es eine Teilnehmerin zusammen.
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