„Ich wäre von selbst nicht auf die Idee gekommen, eine Stelle mit der Beschreibung ‚Programmieren in Fortran‘ anzunehmen.“
Um als Schülerin oder Schüler den eigenen Weg zu finden – bei Johanna Potyka war das der Weg in die Luft- und Raumfahrttechnik – braucht es manchmal den einen oder anderen wegweisenden Moment. Genau dafür hält das Leben aber so manche Überraschung bereit. Immer mal wieder schickt es Menschen vorbei, die zum Nachdenken anregen, inspirieren und neue Möglichkeiten aufzeigen. Johanna Potyka erlebte diese Erfahrungen im Laufe ihres Werdegangs zur wissenschaftlichen Mitarbeiterin der Luft- und Raumfahrttechnik. Diese Momente nennt sie im Interview „Schubser“. Davon sind ihr zwei besonders in Erinnerung geblieben.
Der erste kam in Person des Rektors ihrer damaligen Schule. Er gab ihr den Tipp zu einem Schülerstudium an der Universität Konstanz. Damals fand die Schülerin diesen kurzfristigen Besuch einer Hochschule reichlich verfrüht. Und doch schrieb sie sich für Mathematik ein und bekam so einen wertvollen Einblick in die akademische Welt. Sie kam somit der Luft- und Raumfahrttechnik, von der sie zu diesem Zeitpunkt noch nichts ahnte, einen Schritt näher. Ihre Erlebnisse während des Schülerstudiums waren so prägend, dass sich Johanna Potyka intensiv mit Studiengängen im MINT-Bereich auseinandersetzte – und so die Luft- und Raumfahrttechnik ausgerechnet am „Engineering Day“, beim Auslandsaufenthalt an einer schottischen Mädchenschule, für sich entdeckte.
Den Schubser Nummer zwei erhielt sie schon während ihres Studiums der Luft- und Raumfahrttechnik. Er führte sie zum Programmieren. Innerhalb ihrer Studienzeit an der Universität Stuttgart begann sie ab Ende 2014, als studentische Hilfskraft am ITLR (Institut für Thermodynamik der Luft- und Raumfahrt) zu arbeiten. Ihr Betreuer sprach sie am Ende eines experimentellen Projektes an, als es eine offene Stelle bei einem seiner Kollegen im Bereich Programmierung gab. „Ich glaube, ich wäre von selbst nicht auf die Idee gekommen, eine Stelle mit der Beschreibung ‚Programmieren in Fortran‘ – damals eine mir vollkommen unbekannte Programmiersprache – anzunehmen.“
Wenn sie heute auf diese beiden Anregungen zurückblickt, stellt sie fest: „Die Schubser kamen immer genau richtig. Vielleicht hätte ich vieles auch ohne die Anregung von außen gemacht, aber sicher meist viel später.“
„Vieles ausprobieren, um das Richtige für sich zu finden.“
Während ihres Studiums der Luft- und Raumfahrttechnik erhielt Johanna Potyka Einblicke in unterschiedliche Themenbereiche. „Luft- und Raumfahrttechnik ist ein sehr großer Bereich. Am besten sollte man vieles ausprobieren, um das Richtige für sich zu finden. Das gilt natürlich auch für alle anderen Studiengänge im MINT- und Nicht-MINT-Bereich.“ In ihrer Zeit als studentische Hilfskraft arbeitete sie erst experimentell in der Transpirationskühlung, ab 2017 schließlich an der numerischen Simulation von Mehrphasenströmungen. Letzteres inspirierte sie bei ihrer Masterarbeit, die sie im Rahmen eines Masterstudentinnen-Programms schrieb. Das Masterstudentinnen-Programm ermöglichte ihr parallel zur Masterarbeit den Besuch von Workshops und Seminaren für Doktoranden, um schon in diesen nächsten möglichen Schritt hineinschnuppern zu können. Damit war das ein weiterer kleiner „Schubser“ in Richtung Arbeit in der Wissenschaft.
An der Vorhersage tropfendynamischer Prozesse mittels Simulation forscht Johanna Potyka bis heute als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Institut für Thermodynamik der Luft- und Raumfahrt. Ihr Fachgebiet ist die direkte numerische Simulation von Tropfen-Tropfen- und Tropfen-Strahl-Kollisionen zweier nicht mischbarer Flüssigkeiten. Ihr Schwerpunkt liegt darauf, neue Methoden zu entwickeln und neue Algorithmen in den bestehenden ITLR-eigenen Code FS3D zu implementieren. Aus den hochaufgelösten Simulationsergebnissen, die sehr viel Rechenzeit auf einem Supercomputer erfordern, entwickelt sie Modelle für die Vorhersage dieser Prozesse. Dazu ist viel Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen wie Experimenten und Mathematik gefragt.
„Leitende Positionen sollten mit Personen besetzt werden, die ein Auge für Chancengleichheit und Diversität haben.“
Im Laufe ihres Werdegangs zur wissenschaftlichen Mitarbeiterin am Institut für Thermodynamik der Luft- und Raumfahrt begegnete Johanna Potyka leider auch dem Klischeedenken. Die Realität beweist, dass Vorurteile über Frauen im Allgemeinen und gegenüber Frauen in MINT-Berufen im Besonderen bis heute fortbestehen: Beispielsweise wurde Johanna Potyka auf einer großen Versammlung – witzig gemeint, aber im Ergebnis eher unangenehm – als „Quotenfrau“ vorgestellt. „Bestehende Strukturen aufzubrechen und so manche veralteten Denkweisen zu ändern, ist schwierig und geschieht nicht von heute auf morgen, denn soziale Strukturen sind zäh“, sagt die Doktorandin und fügt hinzu: „Leitende Positionen sollten mit Personen besetzt werden, die ein Auge für Chancengleichheit und Diversität haben. Die Zeit zeigt aber auch, dass solche überheblichen Aussagen wie oben beschrieben zum Glück immer weniger werden.“ Die Wissenschaftskultur durchlebe einen Wandel; und vor allem die jüngeren Mitarbeitenden gingen mit den Themen Chancengleichheit und Diversität selbstverständlicher und unvoreingenommener um – das fördere natürlich auch den Mut junger Frauen, in MINT-Berufe, wie die Luft- und Raumfahrttechnik, einzusteigen. Bei ihrer Arbeit sind Rollenklischees für Johanna Potyka inzwischen kaum noch ein Thema: „Bei einem Frauenanteil von zeitweise bis zu 30 Prozent am ITLR nicht ständig als ‚Quotenfrau‘ zu gelten und die Tatsache, dass ich mich dort wohl fühle, haben wohl maßgeblich zu meiner Entscheidung beigetragen, nach meiner Masterarbeit am Institut zu bleiben.“
Workshops für Schülerinnen und Schüler seien ideal, um über den Tellerrand hinauszuschauen
Jugendlichen, die sich einen Beruf im Bereich Luft- und Raumfahrt oder grundsätzlich im Bereich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften oder Technik vorstellen können, rät Johanna Potyka zur Teilnahme an Workshops und Projekten für Schülerinnen und Schüler. Denn dort können sie entdecken, welche Fachbereiche es jenseits der allseits bekannten Studiengänge Mathematik, Physik, Informatik oder klassischer Maschinenbau gibt. Außerdem können sich die jungen Menschen so auch vernetzen und mit anderen austauschen. Das ist auch für all diejenigen förderlich, die sich noch nicht sicher sind, wohin sie ihr Weg führen soll. Johanna Potyka erinnert sich dabei an ihre eigene Schulzeit. Es sei wichtig, Gleichgesinnte zu finden und zu wissen: „Ok, ich bin jetzt nicht allein mit meinem Interesse für Mathe und Physik!“
Eigenengagement zur Förderung der Nachwuchstalente
Die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Luft- und Raumfahrttechnik sorgt auch selbst dafür, dass die Studierenden so einiges mitnehmen können. Sie engagiert sich beim MentorING für Erstsemester, als Mentorin im StartScience-Programm für Studentinnen und als Teil des Wunderwelt-der-Tropfen-Teams bei den TryScience-Schülerinnen- und Schülerworkshops. Das Miteinander, das gemeinsame Arbeiten, der Austausch und die Orientierung durch Mentorinnen und Mentoren sind für diejenigen hilfreich, die bereits studieren und für diejenigen, die noch als Schülerinnen und Schüler an Workshops teilnehmen. Richtig spannend, so erlebt es Johanna Potyka immer wieder, wird es aber insbesondere in den Pausen bei Workshops. Manche Teenager, sonst eine Mischung aus unsicher und cool, suchen dann das informelle Gespräch und fragen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus.
Und gar nicht selten macht Johanna Potyka dann das, was sie selbst auf so wunderbare Weise vorangebracht hat – sie bringt junge Menschen auf eine neue Idee, gibt ihnen Rat und Begleitung. Mit anderen Worten: Sie sorgt für einen Schubser, der für einen Menschen wegweisend sein kann.
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Die wichtigsten Fakten:
- Der Studiengang dreht sich um alles rund ums Fliegen, innerhalb und außerhalb der Erdatmosphäre.
- Neben naturwissenschaftlich-mathematischen Kompetenzen vermittelt der Studiengang ingenieurwissenschaftliche und anwendungsorientierte Kenntnisse.
- Vorteilhaft sind gute bis sehr gute Kenntnisse in Mathematik und Physik, ein ausgeprägtes Interesse an technischen Fragestellungen und die Bereitschaft zum Erlernen von Fremdsprachen.
- Der Studiengang ist bestens mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Industrie-Unternehmen in der Region Stuttgart vernetzt. Studierenden bieten sich zahlreiche Möglichkeiten für Praktika und Abschlussarbeiten.
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