Erfolgsansätze aus Unternehmen zur Entwicklung weiblicher MINT-Talente in Baden-Württemberg
„Gemischte Teams sind resilienter, innovativer und erfolgreicher”
Dr. Birgit Buschmann, Leiterin des Referats Wirtschaft und Gleichstellung im Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus, begrüßte die Teilnehmenden und gab einen Überblick über die große Bedeutung von MINT-Fachkräften für Baden-Württemberg. Insgesamt werde der Bedarf an MINT-Fachkräften weiter steigen: Die Wirtschaft steckt mitten in einem Wandel, die Energie- und Mobilitätswende sollen vorangebracht werden und die Eindämmung des Klimawandels braucht Ideen und Lösungen. Der Bedarf an Fachkräften steigt also – doch die geburtenstarken Jahrgänge der Boomer-Generation gehen nach und nach in den Ruhestand; es kommen nicht genug junge Menschen nach. Die Lücke wird nicht vollständig gefüllt – und überdies würde es für die Transformation durch Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demografie sogar noch deutlich mehr Fachkräfte brauchen.
Ideen zur Lösung
Das MINT-Netzwerktreffen bot Inspiration und Anregungen, wie der Situation klug begegnet werden kann. Es stellte Unternehmen mit ihren Erfolgsansätzen in den Mittelpunkt – also diejenigen, die die Fachkräfte bereits haben, sie halten wollen und neue gewinnen möchten.
„Es lohnt sich, sich Dinge zu trauen“
Für Prof. Dr. Martina Klärle, Präsidentin der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW), ist „Female MINT-Power“ ein Herzensthema. Als siebtes Kind, aufgewachsen in einem Dorf im Nordosten Baden-Württembergs, war ihr Weg als Ingenieurin und Umweltwissenschaftlerin alles andere als vorherbestimmt.
In ihrer Keynote zum Thema „Mehr Ingenieurinnen braucht das Land“, plädierte Prof. Klärle für mehr Mut und Begeisterung: „Es gibt eine Menge attraktive Berufe, die wenig bekannt sind. Es lohnt sich, einfach mal loszulegen und sich Dinge zu trauen. Und ganz frei zu entscheiden, wo die eigene Zukunft liegt.“ Die lobenden Worte und die Unterstützung einer Mathematiklehrerin stärkten sie, ihren Weg gemäß ihren Interessen zu gehen: Nach der Schule folgte die Ausbildung zur Vermessungstechnikerin, später ein Studium, eine Promotion und eine Professur.
Damit Baden-Württemberg ähnlich innovativ wie das für seine Vielzahl an Techfirmen bekannte Kalifornien bleibt, müssen die Fähigkeiten und Erfahrungen von Frauen stärker nutzbar gemacht werden. Der abschließende Appell von Prof. Dr. Martina Klärle war zugleich ein Auftrag: „Es braucht mehr Ingenieurinnen in diesem Land. Suchen wir sie!“
Diversität steigern und Fachkräfte gewinnen
Die eingangs erwähnte Lücke von Fachkräften ist auch bei der Bechtle AG zu spüren. „Es gibt in Deutschland zurzeit 149.000 offene Stellen in der IT-Branche, die nicht besetzt sind. Deshalb war es für uns höchste Zeit, das Thema Quereinsteiger systematisch anzugehen”, sagte Julia Loza Roger, die das Quereinsteigenden-Programm „Future in IT“ (FIT) bei der Bechtle AG leitet und in der ersten Pitchsession des 8. Netzwerktreffens vorstellte.
Das FIT-Programm soll Fachfremden den Einstieg in die Zukunftsbranche IT ermöglichen und ihnen Karrieren im Bereich IT-Technik, Account Management sowie im IT-Projekt- und Servicemanagement eröffnen. Die Teilnehmenden werden passgenau für ihre neuen Aufgaben bei Bechtle qualifiziert. Dabei sind Alter, Geschlecht oder fachliches Wissen zweitrangig. Das Wichtigste sind die richtige Einstellung und der Wille, etwas zu bewegen.
Flexible Arbeitsmodelle und geschlechtersensible Unternehmenskultur
Frauen und MINT-Berufe – das ist bei der U.I. Lapp GmbH von Beginn an selbstverständlich. Schließlich war es Ursula Ida Lapp, die das Unternehmen 1959 mit ihrem Mann in Stuttgart gründete und zu einem erfolgreichen Global Player formte. Als Unternehmerin und Mutter setzte sie sich seit jeher stark für die Belange ihrer Mitarbeitenden in Sachen Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein. Matthias Dannecker, Head of HR Germany der U.I. Lapp GmbH und Vater von zwei Töchtern, stellte in der zweiten Pitchsession die Familienorientierung als wichtigen Bestandteil der Unternehmenskultur heraus: „Eltern können bei uns individuelle Teilzeitmodelle und Homeoffice-Lösungen nutzen, wir haben ein Eltern-Kind-Zimmer, das die Möglichkeit bietet, in Betreuungsnotfällen Kinder mit zur Arbeitsstelle zu bringen; und die Unternehmensspitze engagiert sich beim Aufbau betriebsnaher Kitas.”
Der entscheidende Hebel: Das Sponsorship-Programm
In der dritten und letzten Pitchsession kam Ann-Sophie Brustik zu Wort, die bei Hewlett Packard Enterprise den Bereich Diversity, Equity, Inclusion & Culture HR für Deutschland und Mitteleuropa verantwortet. Sie stellte die wichtigsten Maßnahmen vor, die das Unternehmen ergreift, um die Zahl von Frauen in Führungspositionen zu steigern. „Obwohl wir den Anteil von Frauen in den letzten Jahren sukzessiv auf 33 Prozent und im Managementbereich auf 29 Prozent erhöhen konnten, gab es weiterhin deutlichen Handlungsbedarf.“ Mit dem Female Sponsorship Program sowie dem Women Connect Program werden weibliche Beschäftigte gezielt gefördert.
Seite an Seite mit einer Sponsorin aus dem Topmanagement
Basierend auf dieser Idee stellt das Female Sponsorship Program ausgewählten weiblichen Talenten einen Sponsor aus dem Topmanagement zur Seite, der ihnen Zugang zu Netzwerken ermöglicht und sie bei der Umsetzung der nächsten Karriereschritte unterstützt. Des Weiteren bringt das Women Connect Program den weiblichen Führungsnachwuchs mit den ehemaligen Teilnehmerinnen des Female Sponsorship Program zusammen. Ziel ist es, Frauen, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen, für Managementaufgaben fit zu machen und sie gezielt für Führungspositionen zu entwickeln.
Binnen sechs Monaten begeistert jede und jeder eine Frau für MINT
Nach dieser Pitchsession entließ die Moderatorin des 8. MINT-Netzwerktreffens, die Senior Managerin Events & Communication des Steinbeis Europa Zentrums, Sabine Haeßler, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in drei Diskussionsrunden mit den Pitch-Vortragenden und ihren Themen.
Am Ende des Netzwerktreffens gab es für alle noch eine kleine Hausaufgabe, die Prof. Dr. Martina Klärle bei ihrem Vortrag angeregt hatte: Jede und jeder Teilnehmende soll in den nächsten sechs Monaten ein Mädchen oder eine junge Frau dazu ermutigen, den Weg in den MINT-Bereich einzuschlagen und technischen oder naturwissenschaftlichen Berufen eine Chance zu geben. Vielleicht, so der Gedanke, entstehe daraus ein Schneeballeffekt, der wichtige Veränderungen ins Rollen bringt.