3. Regionales Netzwerktreffen der Landesinitiative „Frauen in MINT-Berufen“ bei der Ingenieurkammer Baden-Württemberg

Die Ingenieurkammer Baden-Württemberg in Stuttgart war am 25. März 2025 Gastgeberin des dritten regionalen Netzwerktreffens „BW-MINT-vernetzt“ der Landesinitiative „Frauen in MINT-Berufen“. Circa 15 Vertreterinnen und Vertreter von Bündnispartnerinnen und Bündnispartnern nutzten die Gelegenheit, vielfältige Einblicke in die Aktivitäten der Ingenieurkammer zu bekommen.

Ein Gruppenfoto von Frauen und Männern

„Die Gleichstellung ist ein Ritt auf der Schnecke“

Geschäftsführerin Davina Übelacker gab zu Beginn einen fundierten Überblick über die Aufgaben der Ingenieurkammer Baden-Württemberg. Die im Jahr 1990 gegründete Kammer ist die berufsständische Vertretung aller Ingenieurinnen und Ingenieure im Land. Im Unterschied zu anderen Kammern ist die Mitgliedschaft freiwillig.
Die Finanzierung der Ingenieurkammer erfolgt ausschließlich über Mitgliedsbeiträge. Der weit überwiegende Teil der von der Kammer vertretenen Personen hat ein Bauingenieurwesen-Studium absolviert.

Eine blonde Frau steht vor einem Bildschirm und hält eine Präsentation

Der geringe Frauenanteil in den Ingenieurwissenschaften spiegelt sich auch bei der Ingenieurkammer wider, unter den aktuell ca. 4.000 Mitgliedern sind lediglich 300 Frauen. Die Ingenieurkammer hat zahlreiche gesetzliche Aufgaben, z. B. die Prüfung von im Ausland erworbenen Ingenieur-Abschlüssen und deren Anerkennung. Im vergangenen Jahr wurden ca. 1.200 Anträge eingereicht, von denen 1.126 genehmigt wurden. Auffällig dabei ist die relativ hohe Anzahl von Bauingenieurinnen, die ihren im jeweiligen Heimatland erworbenen Abschluss anerkennen lassen wollen.

Neben ihren gesetzlichen Aufgaben setzt sich die Ingenieurkammer auch für berufspolitische Themen ein. Dabei verfasst sie unter anderem Stellungnahmen zu relevanten Gesetzesvorhaben –etwa der Novellierung der Landesbauordnung. Über vielfältige Kommunikationskanäle (u.a. Newsletter, Podcasts und Magazin) informiert die Ingenieurkammer ihre Mitglieder und die Öffentlichkeit über ihre Aktivitäten und Kooperationen, etwa bei der Holzbau-Offensive des Ministeriums für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg.

Aktuell steht das Ingenieurwesen vor großen gesellschaftlichen Aufgaben, z. B. Klimaschutz, Digitalisierung und Sanierung der Infrastruktur. Hinzu kommen der demografische Wandel und ein zunehmender Fachkräftemangel. Vor diesem Hintergrund hat die Ingenieurkammer ein Nachwuchskonzept erarbeitet, das von Sinem Özerdem, Referentin, vorgestellt wurde.

Skizze eines Bauplans

Es zielt insbesondere darauf ab, junge Menschen für das Ingenieurwesen zu begeistern und den qualifizierten Fachkräftenachwuchs in Baden-Württemberg zu fördern.
Zugleich soll das Berufsbild gestärkt, Vielfalt und Chancengleichheit gefördert sowie das Image des Ingenieurberufs aufgewertet werden. Die Ingenieurkammer ist dabei in verschiedenen strategischen Handlungsfeldern aktiv, unter anderem indem sie frühzeitig Bildungsimpulse vermittelt (z. B. den Schülerwettbewerb Junior.ING), und sich in der Beruflichen Orientierung etwa mit Mentoring-Programmen (z. B. MentorING-Programm für Berufseinsteiger/innen) engagiert.

Mit welchen Herausforderungen mitunter Ingenieurinnen in ihrem Berufsalltag konfrontiert sind, zeigten eindrucksvoll zwei Erfahrungsberichte. Eine der wenigen selbstständigen Ingenieurinnen ist die Brandschutz-Sachverständige Lilly Kunz-Wedler, als erste Frau gehört sie seit 2014 dem Vorstand der Ingenieurkammer an. Lilly Kunz-Wedler interessierte sich schon als Kind für Architektur und zeichnete erste Wohnungsgrundrisse. Ihr Diplom-Studium der Architektur und Stadtplanung an der Universität Stuttgart schloss sie 1997 ab. Im folgenden Jahrzehnt arbeitete sie in verschiedenen Architekturbüros als Bau- und Projektleiterin, parallel dazu qualifizierte sie sich zur Fachplanerin für vorbeugenden Brandschutz. Wiederholt machte Lilly Kunz-Wedler damals die Erfahrung, dass sie ihre Fachkompetenz erst unter Beweis stellen musste, bevor sie im Kollegenkreis anerkannt wurde. Im Laufe der Zeit lernte sie, im Umgang mit genderspezifischen Themen in ihrer männlich dominierten Branche gelassener zu reagieren.

Eine Frau mit braunen Haaren steht vor einem Tisch und hält eine Präsentation

Im Jahr 2008 gründete Lilly Kunz-Wedler ihr eigenes Büro, das sich auf Brandschutz und Architektur spezialisiert hat. Die beratende Ingenieurin und freie Architektin ist neben ihrem ehrenamtlichen Engagement in der Ingenieurkammer auch als Lehrbeauftrage an verschiedenen Universitäten und Bildungseinrichtungen tätig. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stellt für Lilly Kunz-Wedler eine konstante Herausforderung dar, die oft nur mit Unterstützung durch Angehörige leistbar ist.
Anschließend schilderte Jana Nowak ihre Erfahrungen als Bauingenieurin. Nach ihrem Master-Abschluss an der Universität Stuttgart begann sie 2018 als Tragwerksplanerin im Ingenieurbüro knippershelbig in Stuttgart. Seit 2021 ist sie dort Head of Sustainable Structures und leitet das Team für Nachhaltiges Bauen.

In ihrer Freizeit engagiert sich Jana Nowak ehrenamtlich, sie hat den Stuttgarter Nachhaltigkeitsstammtisch für Bauingenieure initiiert, das Attitude Building Collective e.V. (ABC) mitgegründet und ist außerdem Mitglied der Bauwende-Allianz. Beim Festakt zur Verleihung des Deutschen Ingenieurbaupreises, der alle zwei Jahre vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) und der Bundesingenieurkammer ausgelobt wird, durfte Jana Nowak 2024 die Festrede zum Thema „Entwerfen für die Bauwende“ halten.

Trotz der inhaltlichen Nähe zu ihrer beruflichen Tätigkeit und dem mit einer Mitwirkung bei der Preisverleihung verbundenen Reputationsgewinn blieb die Anerkennung dafür in den eigenen Reihen aus. Mitunter hat auch Jana Nowak in ihrem Berufsalltag erlebt, dass sie als Ingenieurin ihren männlichen Kollegen erst ihre Kompetenz beweisen muss, um deren Anerkennung zu erfahren.

In der anschließenden Diskussionsrunde wurde deutlich, dass noch viel zu tun ist, um eine wirkliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern im MINT-Bereich und darüber hinaus zu erreichen.

Eine blonde Frau steht vor einem Bildschirm und präsentiert

Dem von einer Teilnehmerin in diesem Zusammenhang genannten Zitat einer ZEIT-Redakteurin „Die Gleichstellung ist ein Ritt auf der Schnecke“ stimmten alle Anwesenden zu. Wichtige Ansätze, um den Anteil von Frauen zu erhöhen, sind beispielsweise ein sehr früher Beginn von MINT-Bildung, die Einbindung von weiblichen Rollenvorbildern, Aktivitäten, um den Dropout von Ingenieurinnen zu reduzieren, sowie die Vermittlung von sinnstiftenden Visionen im MINT-Kontext. Nicht zuletzt bedarf es auch männlicher Fürsprecher und eines kulturellen Wandels in Hochschulen und Unternehmen.

Den Abschluss der Veranstaltung bildete ein Blick ins Ausland. Sinem Özerdem hat mehrere Jahre in Südostasien gelebt und informierte über die Situation von Ingenieurinnen in Singapur und Malaysia. Dabei stellte sie zunächst die Länder und deren Bildungssysteme vor. Anschließend präsentierte sie Daten zum jeweiligen Anteil von Frauen in MINT-Berufen und -Studiengängen. In beiden Ländern ist der Frauenanteil in technischen Berufen – trotz strukturierter Förderung und modernen Arbeitsbedingungen (Singapur) und hoher Bildungsbeteiligung von Frauen (Malaysia) – nach wie vor ausbaufähig.
Auch das dritte Netzwerktreffen bot eine tolle Möglichkeit zum Netzwerken. In den Gesprächen entstanden wiederum spannende Kooperationsideen zwischen den Partnerorganisationen.

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