„MINT-Berufe bilden das Fundament für Innovation und Fortschritt. Sie können uns Türen zu neuen Welten öffnen und uns helfen, die drängendsten Probleme unserer Zeit zu lösen.“ Mit diesen Worten eröffnete Moderatorin Dr. Julia Hagel am 14. November 2024 das 13. Jahrestreffen und Bilanzgespräch der Landesinitiative „Frauen in MINT-Berufen“ bei der IHK Region Stuttgart. Mit welchen Initiativen es gelingen kann, mehr Mädchen und Frauen für zukunftsrelevante MINT-Berufe zu gewinnen, darüber diskutierte Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut, Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus, mit hochrangigen Vertreterinnen und Vertretern aus den Bereichen Arbeitsmarktpolitik und Wirtschaft. Es wurde auf das bisher Erreichte zurückgeblickt, aber auch Themen aufgegriffen, die noch viel Arbeit erfordern und die Landesinitiative und das Bündnis vor große Herausforderungen stellen.
Nur 18 Prozent aller MINT-Beschäftigten im Land sind Frauen
Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut, Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg, unterstrich in ihrer Begrüßungsrede die zentrale Rolle von MINT-Berufen für die Gestaltung von zukunftsweisenden Aufgaben im Bereich Energie, Klima, Mobilität und Digitalisierung. Und sie stellte zugleich fest: „Nach wie vor sind Frauen in diesem Bereich unterrepräsentiert. Im vergangenen Jahr waren in Baden-Württemberg 290.000 Frauen in einem MINT-Beruf beschäftigt. Das sind zwar 60.000 mehr als fünf Jahre zuvor, aber eben immer noch nur 18 Prozent aller MINT-Beschäftigten bei uns im Land.“
Es sei daher wichtig, in konzertierter Aktion mehr Frauen und Mädchen für MINT-Berufe zu begeistern und deren berufliche Entwicklung zu unterstützen.
Unternehmen unterstützen, in den Dialog gehen
Um den großen Fachkräftebedarf auch künftig zu decken, unterstützt die Landesinitiative „Frauen in MINT-Berufen“ durch das Beteiligungsprogramm@MINT Unternehmen in Baden-Württemberg bei der Gewinnung von Nachwuchs- und Fachkräften. Beispielsweise finden virtuelle Netzwerktreffen für Unternehmensvertreterinnen und -vertreter statt, bei denen Unternehmen aus dem Land Best-Practice-Beispiele zur Sicherung des MINT-Fachkräftebedarfs vorstellen und sich untereinander austauschen.
Auch das Angebot der MINT-Dialog-Days für Schülerinnen und Studentinnen, Informationsveranstaltungen am Unternehmensstandort bis hin zur Vorstellung interessanter Role Models aus dem MINT-Bereich zeigten sich in der Vergangenheit als geeignete Formate. „Dieser persönliche Austausch und direkte Einblick in das Unternehmen und in die tatsächlichen Tätigkeiten helfen dabei, Hürden abzubauen und mehr Mädchen und Frauen für MINT-Berufe zu gewinnen“, so die Ministerin.
#empowerGirl und die Frage nach dem Warum
Als Beispiel, wie es gelingen kann, Schülerinnen und Unternehmen zusammenzubringen, stellte Dr. Kowitz-Harms die bundesweite Praktikumsplattform #empowerGirl vor: eine bundesweite Initiative von MINTvernetzt, mit der auch das Landesbündnis kooperiert und an der auch Unternehmen aus Baden-Württemberg beteiligt sind. Ziel ist es, Mädchen der 8. bis 10. Klasse mit einem zwei- bis dreiwöchigen Praktikum mehr Teilhabe und Praxiseinblick in naturwissenschaftliche und technische Berufe zu ermöglichen.
Dabei reiche es nicht nur zu zeigen, dass ein MINT-Beruf Spaß machen kann – auch die Frage nach dem Warum müsse gestellt und beantwortet werden: „Bei Mädchen weckt man das Interesse häufig nicht über das Wie, sondern es geht vielmehr um gesellschaftliche Fragen, den Purpose-Gedanken, also die Sinnhaftigkeit des Jobs. Und gerade mit MINT-Berufen können diese Geschichten, in denen es um den Klimawandel und die Zukunftsgestaltung des Landes geht, sehr gut erzählt werden. Jedoch müssen wir am Storytelling und einer zielgruppengerechten Kommunikation noch intensiv arbeiten“, räumte Dr. Kowitz-Harms abschließend ein.
Moderne Unternehmenskultur, Role Models und Purpose
Weitere Denkanstöße und Einblicke in Aktivitäten brachte die Podiumsdiskussion „MINT braucht Frauen: Unternehmensinitiativen und Erfolgsrezepte aus der Wirtschaft“.
Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut bekräftigte einmal mehr, dass es eine gemeinschaftliche Aufgabe sei, Frauen für MINT-Berufe zu gewinnen und dies nur in einem engen Zusammenspiel mit Akteuren im Bildungsbereich und den Unternehmen gelingen könne.
Role Models spielen, so Dr. Hoffmeister-Kraut, ebenfalls eine wichtige Rolle. In diesem Zusammenhang nannte sie die Initiative Ausbildungsbotschafter/-innen – ein Programm, in dem Auszubildende zugleich als Role Models fungieren und in Schulen von ihren persönlichen Erfahrungen berichten und dabei Schülerinnen und Schülern authentische Einblicke in ihre Ausbildungsberufe ermöglichen.
„Obwohl wir viele Angebote und Maßnahmen haben, um junge Frauen und Mädchen für Technik zu begeistern, verlieren wir sie oftmals in der Pubertätsphase. Wenn wir stärker verdeutlichen, was jede Einzelne im MINT-Bereich bewirken kann, wäre das schon ein wichtiger Schritt. Und da sind wir wieder beim Thema Purpose“, stellte Dr. Hoffmeister-Kraut fest.
Direkter Austausch mit Schülerinnen und Schülern
Martina Musati, Vorsitzende der Geschäftsführung der Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit, wies auf das gut vernetzte Berufsorientierungsangebot hin: „Wir haben 600 Berufsberaterinnen und Berufsberater, die nicht in der Agentur sitzen, sondern in die Schulen gehen und dort Schülerinnen und Schüler beraten und informieren“, erläuterte Musati.
Als weiteres erfolgreiches Beispiel nannte sie die Praktikumswochen, an denen rund um die Herbstferien 7.700 Schülerinnen und Schüler ab der 8. Klasse teilgenommen haben und so erste berufliche Erfahrungen sammeln konnten. Darüber hinaus bietet die Girl’s Day Akademie Schülerinnen ab der 7. Klasse die Möglichkeit, sich in den MINT-Bereichen auszuprobieren und ihr Wissen zu erweitern. „Bereits 5.000 junge Mädchen haben hier mitgemacht – aber ich muss ganz klar sagen, da geht mehr“, so Musati.
In jedem Kind steckt ein Naturtalent
Die dringende Notwendigkeit, MINT-Nachwuchs zu gewinnen, sowohl auf der handwerklichen Seite als auch auf der Studierendenseite, sieht auch Dr. Ansgar Kriwet, Vorstand Research and Development bei Festo SE & Co. KG. Er ist der festen Überzeugung, dass die Begeisterung für Technik schon von klein auf vorhanden ist: „Jedes Kind ist ein kleiner Ingenieur, ein kleiner Naturwissenschaftler. Jedes Kind ist neugierig, will Sachen ausprobieren. Jedes Kind ist kreativ und schöpferisch. Aber irgendwie erziehen wir das den Kindern über die Zeit ab.“
Um Kindern die Faszination für naturwissenschaftlich-technische Tätigkeitenden zu eröffnen, stellt Festo Grundschulen und Kitas Experimentiersets zu Verfügung. Außerdem nimmt das Unternehmen am Girls’Day und der Initiative #empowerGirl teil, ist mit Ausbildungsleiterinnen auf Ausbildungsmessen unterwegs und vergibt Stipendien für Frauen im technischen Masterstudium.
Ein Punkt, der Dr. Kriwet besonders schmerzt: „Wir verlieren zu viele gute und talentierte Frauen. Ich glaube, das hat ganz viel mit Strukturen im Unternehmen zu tun. Das müssen wir durch eine Kulturoffensive angehen. Wir müssen uns verändern, wir brauchen Rollenvorbilder, wir brauchen Förderungsprogramme und wir brauchen ein anderes Verhalten von Führungskräften.“
Begeisterung wecken, Praxisbezug zeigen
Schon früh die Begeisterung für MINT zu wecken, liegt auch Mathias Haase, Vorstandsvorsitzender der Wissensfabrik – Unternehmen für Deutschland e.V., am Herzen. „Uns geht es weniger darum, Faktenwissen oder Kompetenzen zu vermitteln; wir wollen vor allem begeistern. Und dafür ist der Praxisbezug wichtig“, erklärte Haase. Die Wissensfabrik unterstützt als bundesweites Netzwerk mit rund 130 Unternehmen Schulen und Kitas mit praxisorientierten, kostenlosen Bildungsprojekten wie ITtoschool und ermöglicht den Lehrkräften, durch Fortbildungen einen praktischeren und interessanteren Unterricht zu gestalten.
Landesbündnis wächst weiter
In diesem Jahr nahm die Landesinitiative drei neue Bündnispartner auf: den Verband kommunaler Unternehmen – Landesgruppe Baden-Württemberg e.V., die HOPP FOUNDATION for Computer Literacy & Informatics gGmbH sowie die Bechtle Stiftung gGmbH. Zum Bündnis gehören damit 77 Partnerorganisationen.
Anteil weiblicher MINT-Auszubildender gleichbleibend niedrig
Zum Abschluss des Jahrestreffens blickte Dr. Birgit Buschmann, Leiterin des Referats Wirtschaft und Gleichstellung im Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg, auf das letzte Jahr zurück und präsentierte wichtige Aktivitäten aus dem Bilanzbericht im Rahmen einer Slideshow.
Während der Anteil an MINT-Studienanfängerinnen Zuwächse verzeichnet und in Baden-Württemberg mittlerweile bei 33,8 Prozent liegt, bleibt der Anteil an weiblichen MINT-Auszubildenden mit 10,6 Prozent weiterhin niedrig. Beim Anteil von erwerbstätigen Frauen in MINT-Berufen in Höhe von 18 Prozent lässt sich zwar zum Vorjahr ein Rückgang von 0,5 Prozent feststellen, insgesamt konnte in den letzten zehn Jahren jedoch ein Zuwachs von 30 Prozent erzielt werden.
Die Anteile der erwerbstätigen Frauen in den MINT-Bereichen liegen in den Disziplinen Mathematik und Naturwissenschaften bei 50 Prozent, im Bereich Technik sind es 16,1 Prozent und im Bereich Informatik 15,9 Prozent. „Das zeigt uns nochmal deutlich, wo die Haupthandlungsbedarfe sind“, so Dr. Buschmann.
Notwendigkeit von nachhaltig finanzierten Programmen mit Breitenwirksamkeit
Für Baden-Württemberg, als starkes Innovationsland mit überproportionalem MINT-Bedarf, ist die Bedeutung von MINT-Bildung und Fachkräftesicherung besonders groß. „Wir brauchen eine konsistente MINT-Bildungskette in der Fläche, die auch nachhaltig finanziert ist. Wir müssen die relevanten Zukunftsthemen wie KI aufgreifen und die Zusammenarbeit zwischen schulischen und außerschulischen Akteuren stärken. Und wir brauchen eine lebensphasenorientierte MINT-Strategie und eine MINT-Allianz, auch ressortübergreifend“, fasste Dr. Buschmann die erforderlichen Maßnahmen zusammen.
Neben erfreulichen Entwicklungen, wie dem steigenden Anteil weiblicher MINT-Studienanfängerinnen und weiblicher MINT-Beschäftigter, vieler erfolgreicher Initiativen und auch neuer Kampagnen, gab es auch Rückschritte zu vermelden. Durch die Haushaltskonsolidierung enden bewährte Programme wie die Girls‘ Digital Camps, die seit sieben Jahren aufgebaut und landesweit ausgerollt wurden, zum Jahresende. „Das zeigt einmal mehr, wie essenziell nachhaltig finanzierte Programme sind, die auch eine breite Wirksamkeit haben. Nur so können wir noch mehr Durchschlagskraft bekommen“, betonte Dr. Buschmann.
Betonung der Vielfalt und gesellschaftlichen Relevanz von MINT
Abschließend wies Dr. Buschmann nochmals auf die Empfehlungen hin, die in den letzten Jahren von der Landesinitiative erarbeitet wurden und inzwischen immer mehr im Mainstream ankommen: „Es geht um eine klischeefreie Berufs- und Studienorientierung, es geht um weibliche Role Models und Mentoringprogramme, auch in den Schulen. Es geht um die Sensibilisierung von Lehrkräften und Eltern, um das Selbstvertrauen von Mädchen zu stärken. Es geht um die Betonung der Relevanz von MINT für Klimaschutzthemen in Unterricht und Berufsorientierung. Und es geht vor allem auch darum, die Vielfalt und gesellschaftliche Relevanz von MINT zu vermitteln.“ Dr. Buschmann macht zum Schluss noch einmal deutlich: „Wir sind auf gutem Weg, aber wir sind noch lange nicht am Ziel.“
Nach dem offiziellen Programm hatten alle Teilnehmenden beim MINT-Gallery-Walk die Möglichkeit, verschiedene Akteure aus dem Bereich MINT-Förderung kennenzulernen, mehr über deren Initiativen zu erfahren und miteinander ins Gespräch zu kommen.
Weitere Informationen erhalten Sie im Bilanzbericht 2024 der Landesinitiative „Frauen in MINT-Berufen“
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