Prof. Dr.-Ing. Nejila Parspour ist eine MINT-Heldin auf dem Gebiet der Elektrotechnik und forscht unter anderem an induktiver Energieübertragung in den Bereichen Automobilität und Medizintechnik
Neben der E-Mobilität gibt es ein weiteres Anwendungsgebiet für induktive Energieversorgung, das Prof. Dr.-Ing. Parspour sehr „am Herzen liegt“: die Medizintechnik. Bei Patienten mit Herzfehlern kommen häufig implantierbare Herzunterstützungssysteme wie etwa Herzpumpen zum Einsatz. Diese sind für gewöhnlich mit Kabeln versehen, die aus dem Körper heraus an die Energieversorgung angeschlossen sind. Die induktive Energieversorgung würde diese Kabel überflüssig machen und damit Infektionsherde beseitigen. Das System ist längst keine Zukunftsmusik mehr – im Labor wurde es schon erfolgreich getestet, und bald startet die präklinische Erprobung.
„E-Mobilität und Medizintechnik, Robotics und Windenergieanlagen – in der Grundlagenforschung haben all diese Bereiche Gemeinsamkeiten“
Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen: Frau Prof. Dr.-Ing. Parspour, Sie wenden die induktive Energieübertragung zum einen in der Medizintechnik und zum anderen in der E-Mobilität an – das sind zwei Disziplinen, die scheinbar wenig miteinander zu tun haben, aber doch beide von Ihrer Forschung profitieren. Wie kommt das? In welchem Bereich fühlen Sie sich eher zuhause?
Nejila Parspour: Ich fühle mich in beiden Bereichen gleichermaßen zuhause – und außerdem auch noch in den Bereichen Robotics und Windenergieanlagen. Der Grund ist, dass alle diese Anwendungen in der Grundlagenforschung sehr viele Gemeinsamkeiten haben. In allen diesen Bereichen werden elektrische Maschinen eingesetzt, die unterschiedliche Leistungsklassen und Topologien haben, aber – physikalisch gesehen – elektromechanische Energiewandler sind: Als E-Motor in einem E-Auto oder in einem Roboter oder als Generator in einer Windenergieanlage benutzen sie die physikalischen Zusammenhänge, die mathematisch mit Maxwellschen Gleichungen beschrieben werden. Ähnlich sieht es bei der induktiven Energieübertragung aus, die sowohl für das kabellose Laden von E-Fahrzeugen als auch zur kabellosen Versorgung von Geräten, die im Körper implantiert sind, wie zum Beispiel Herzunterstützungssystemen, eingesetzt werden kann.
L. F. i. M.-B.: Wie kann man sich induktive Energieversorgung vorstellen? Kurz erklärt, wie funktioniert das?
Nejila Parspour: Grundlage für die induktive Energieübertragung ist die magnetische Kopplung zwischen zwei Spulensystemen (Primär- und Sekundärspule). Der durch die Primärspule fließende Wechselstrom erzeugt ein magnetisches Wechselfeld. Die Anteile dieses Feldes, die die Sekundärspule durchsetzen, induzieren in der Sekundärspule eine Spannung. Die Übertragung der Energie erfolgt durch die Luft und kontaktlos über die Zwischenwandlung der elektrischen Energie in die magnetische Energie.
„Mit dem Durchbruch der Elektromobilität kommt auch der Durchbruch für induktive Energieversorgung.“
L. F. i. M.-B.: Die induktive Energieversorgung bei E-Fahrzeugen ist teilweise schon in Prototypen und Pilotprojekten in Gebrauch. Inwiefern macht dieses Ladesystem E-Autos praktikabler, und wie lange dauert es, bis das zum Standard in E-Fahrzeugen wird?
Nejila Parspour: Das induktive Laden ist eine innovative Technologie mit zahlreichen Vorteilen, die weit über den Bedienkomfort hinausgehen. Das Fahrzeug kann automatisch und ohne Mitwirkung des Fahrers mit einem Wirkungsgrad von über 90 % geladen werden. Durch das automatische Laden an jedem Parkplatz, jeder Ampel oder jedem Straßenabschnitt wird die zur Verfügung stehende Reichweite erhöht. Induktive Ladesysteme haben keinen mechanischen Verschleiß und benötigen folglich weniger Wartung. Außerdem können induktive Ladesysteme besser gegenüber äußeren Einflüssen durch Witterung (Regen, Wind, Eis und Staub) oder Vandalismus geschützt werden, da keine zugänglichen elektrischen Kontakte nötig sind. Bei so vielen Vorteilen bin ich davon überzeugt, dass mit dem Durchbruch der Elektromobilität auch der Durchbruch für das induktive Laden kommen wird.
„Reichweiten und Infrastruktur – hier sind Politik und Wirtschaft gefragt.“
L. F. i. M.-B.: Welche technischen Fortschritte braucht es Ihrer Meinung nach außerdem, um E-Autos in naher Zukunft massentauglich zu machen oder gar den Verbrenner abzulösen?
Nejila Parspour: Die Marktakzeptanz von Elektrofahrzeugen ist aktuell noch recht gering, obwohl gleichzeitig in der Bevölkerung eine hohe Resonanz zu Elektromobilität besteht. Elektrofahrzeuge sind im Vergleich zu konventionellen Verbrennern teuer und haben geringere Reichweiten. Hinzu kommt, dass die Ladeinfrastruktur noch sehr großmaschig ist. Diese drei Herausforderungen sind nicht nur technologischer Art; hier sind Politik und Wirtschaft gefragt.
L. F. i. M.-B.: Wie kam es, dass Sie sich am iew für induktive Energieversorgung von Herzpumpen interessierten? Die Medizintechnik hat mit dem Institut sonst keine Berührungspunkte, oder doch?
Nejila Parspour: Das kommt daher, dass ich meine Forschungstätigkeit im Bereich der elektrischen Antriebe für Herzunterstützungssysteme und Kunstherzen begann – das war an der TU Berlin, noch vor meiner Zeit am iew. Die induktive Energieübertragung kam vor circa 15 Jahren in Bremen dazu. Die Idee dazu entstand, als beim Praxiseinsatz von Robotern immer mehr Probleme bei Systemen festzustellen waren, bei denen die elektrische Energie auf bewegte Verbraucher übertragen wurde. Der Übergang zu Elektrofahrzeugen war eine logische Fortsetzung und Erweiterung des Leistungsbereiches.
Nachdem die kabellose Energieübertragung für E-Fahrzeuge erfolgreich in die Praxis umgesetzt worden war, ging der Weg in Richtung Medizintechnik. Neben Herzunterstützungssystemen gibt es eine Vielzahl von medizinischen Anwendungen, bei denen hocheffiziente induktive Energieversorgungs- und elektrische Antriebssysteme grundlegende Verbesserung bringen könnten. Bei künstlichen Herzpumpen läuft die Energieversorgung zum Beispiel noch über Kabel, was ein Einfallstor für Infektionen ist.
„Durch induktive Energieversorgung kann die Lebensqualität von Herzpatienten signifikant besser werden.“
L. F. i. M.-B.: Wie weit sind die kabellosen Herzpumpen noch von der Anwendung bei Patienten entfernt?
Nejila Parspour: Hier ist der Abstand noch viel größer als beim Auto. Technologisch gesehen gibt es nur wenige Schritte bis zu ersten Prototypen, die auch in realen Studien eingesetzt werden können. Praktisch gibt es leider seitens der Hersteller für medizinische Geräte (noch) kein großes Interesse an dieser Idee. Das kann ich nicht nachvollziehen. Durch das induktive Laden kann die Lebensqualität der Patienten signifikant besser werden.
L. F. i. M.-B.: Welchem Forschungsziel wenden Sie sich zu, wenn die induktive Energieversorgung von Herzen und E-Autos in der Praxis angekommen ist?
Nejila Parspour: Zurzeit überlegen wir, wie im Weltall zwischen zwei Satelliten Energie übertragen werden kann. Eine andere interessante Frage ist, wie die elektrischen Signale der Nervenbahnen zur Steuerung von Prothesen benutzt werden können. Außerdem gibt es im Bereich Robotics einige hochinteressante Herausforderungen, die zu lösen sind: von intelligenten, helfenden Robotern im Alltag bis hin zu Robotern, die schwere und gefährliche Arbeiten für uns erledigen und sich dabei selbst weiterentwickeln.
„Ich bin in meinem Element, wenn ich Mathematik mit Physik und Technik verbinde.“
L. F. i. M.-B.: Warum entschieden Sie sich, in der Forschung zu arbeiten, und wann entstand Ihr Interesse für Elektrotechnik?
Nejila Parspour: Meine Kindheit war von der Mondlandung und den NASA-Missionen geprägt. Mein erster Berufswunsch war deshalb, Astronautin zu werden. Je mehr ich mich mit der Raumfahrt beschäftigte, umso mehr merkte ich jedoch, dass mich eigentlich die Wissenschaft fasziniert, die diese technischen Errungenschaften ermöglichte. Hinzu kam meine große Leidenschaft für Mathematik und Physik. In der Elektrotechnik und der Forschung fand ich dann schließlich alles zusammen.
L. F. i. M.-B.: Was begeistert Sie speziell an dem Thema induktiver Energieversorgung? Was motiviert Sie jeden Tag aufs Neue dieser Forschung nachzugehen?
Nejila Parspour: Elektromagnetismus hat mich schon immer fasziniert. Sowohl die Phänomene, die damit beschrieben werden können, als auch die technischen Anwendungen aus der Praxis. Die induktive Energieübertragung mit Hilfe des magnetischen Wechselfelds eröffnet eine Vielzahl von Möglichkeiten und Freiheitsgraden. Es begeistert mich zu sehen, dass durch unsere Forschung Probleme gelöst werden und neuartige Lösungen und Aufbauten entstehen. Ich bin in meinem Element, wenn ich Mathematik mit Physik und Technik verbinde. Das fasziniert mich jeden Tag aufs Neue.
„Den Frauenmangel kann ich nicht verstehen – in anderen Ländern ist Elektrotechnik ein ganz normales Fach für Frauen.“
L. F. i. M.-B.: Neben der Forschung ist das iew auch in der Lehre tätig – Sie selbst gründeten den Studiengang „Elektromobilität“ an der Universität Stuttgart. Wie schnell verändern sich Forschungsstand und Lehrplan, und welche Veränderungen beobachten Sie in den Jahrgängen Ihrer Studentinnen und Studenten?
Nejila Parspour: Auf der einen Seite ist eine große Dynamik da – speziell durch den Einzug von neuen Technologien wie zum Beispiel der künstlichen Intelligenz und des 3D-Druckes. Auf der anderen Seite gibt es die mathematischen und physikalischen Grundlagen, die die klassische Basis für alle technischen Ausrichtungen darstellen. Unsere Aufgabe ist es, die richtige Zusammensetzung zu finden und diese im Lehrplan umzusetzen. Ich beobachte mit Freude, dass es immer sehr viele neugierige und engagierte Studentinnen und Studenten gibt und dass sie nicht nur die Technik allein im Fokus haben, sondern auch die Themen Nachhaltigkeit und Umwelt.
L. F. i. M.-B.: Was denken Sie, warum es in Ihrem Fachgebiet – Elektrotechnik – vergleichsweise wenig Frauen in Forschung und Industrie gibt, und welche Maßnahmen halten Sie für wirkungsvoll, um das zu ändern?
Nejila Parspour: Ich wünschte, ich könnte diese Frage beantworten. Das ist etwas, was ich nicht verstehen kann. Ich denke, dass viele Maßnahmen recht spät eingreifen. Sehr viel läuft in der Erziehung und bereits im Kindergarten hier anders als in anderen Ländern, in denen Elektrotechnik ein ganz normales Fach für Frauen ist. Eine Lösung habe ich nicht. Ich habe allerdings beobachtet, dass Vorbilder helfen. In meinen Vorlesungen sammeln sich im Laufe der Zeit immer mehr Studentinnen in den vorderen Reihen, und induktives Laden scheint auch ein beliebtes Thema unter Frauen zu sein. In unserem Labor für die kontaktlose Energieübertragung arbeiten sehr oft fast nur Studentinnen.
Wir bedanken uns bei Prof. Dr.-Ing. Nejila Parspour für das Gespräch und wünschen alles Gute für die nächsten Projekte.
Infos zu Prof. Dr.-Ing. Nejila Parspour:
Die gebürtige Iranerin studierte Elektrotechnik an der Technischen Universität Berlin. Nach der Promotion 1995 und einem Studienaufenthalt in Berkeley begann sie 2001 beim Institut für elektrische Antriebe, Leistungselektronik und Bauelemente der Universität Bremen, wo sie unter anderem Preise für ihre Forschungsbeiträge zu berührungslosen Ladeeinrichtungen für Elektrofahrzeuge erhielt. Seit Oktober 2007 ist Nejila Parspour Professorin für Elektrische Energiewandlung an der Universität Stuttgart und leitet dort seit Juni 2011 das neu gegründete Institut für Elektrische Energiewandlung (iew). 2012 wurde die Wissenschaftlerin zu einer der ersten drei Übermorgenmacher beim gleichnamigen Wettbewerb zum 60-jährigen Bestehen des Landes Baden-Württemberg für ihren Verdienst im Bereich „Induktives Laden von Elektrofahrzeugen“ gewählt. Sie ist Mitgründerin und Studiendekanin des im Jahr 2013 an der Universität Stuttgart eingerichteten Master-Studienganges Elektromobilität und wirkt seit 2017 im Strategiedialog Automobilwirtschaft Baden-Württemberg mit.
Mehr Informationen zum iew hier.
Fotos: Universität Stuttgart/ Max Kovalenko; Prof. Dr.-Ing. Nejila Parspour
- Dr. Anette Weisbecker vom Fraunhofer IAO über das Zusammenspiel von Mensch, Technik, Digitalisierung und Organisation
- Lucia Parbel, Studentin der Agrarwissenschaft und Aktivistin bei Fridays for Future Stuttgart
- Dr. Gisela Schütz, Direktorin am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart und Leiterin der Abteilung „Moderne Magnetische Systeme“
- Maria Stepanov und Franziska Schneider, Mitwirkende am Corona Protection Point der Ameria AG
- Beate Schöneck, Hygienefachkraft am Klinikum Stuttgart
- Barbara Müller, Arbeitsgruppenleiterin im Department für Infektiologie und Virologie am Universitätsklinikum Heidelberg
- Mariola Fotin-Mleczek, Chief Technology Officer der CureVac AG, Biologin und Expertin für Immunologie
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