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Lucia Parbels unbedingter Wille, die Klimakrise nicht einfach so passieren zu lassen

Lucia Parbel, Studentin der Agrarwissenschaften, steht auf einer Bühne einer Klima-Demo und spricht in ein Mikrofon.

Lucia Parbel ist Studentin der Agrarwissenschaften an der Universität Hohenheim und damit „Expertin-in-Ausbildung“ für die Bereiche Agrartechnik und Ökonomie sowie Tier-, Pflanzen- und Bodenwissenschaften. Obwohl das ein Vollzeitstudium ist, setzt die 21-Jährige sich intensiv als Aktivistin in der Stuttgarter Ortsgruppe der Initiative Fridays for Future ein. Mit der Landesinitiative „Frauen in MINT-Berufen“ spricht das MINT-Rolemodel über Studium, Aktivismus und die Herausforderungen, vor denen wir als Gesellschaft ihrer Meinung nach stehen.

Das Interesse an MINT-Bereichen und insbesondere der Umwelt entstand bei der gebürtigen Hessin schon früh. Das könnte am Beruf ihres Vaters liegen, der sie als Ingenieur in der Solarbranche schon in ihrer Kindheit mit der Thematik vertraut gemacht hat. Andererseits sind „Umwelt und Klima“ eben auch das Thema ihrer Generation und kaum auszublenden. Nach dem Abitur entschied sich Lucia Parbel daher für einen Bundesfreiwilligendienst beim Forstamt Karlsruhe.

Im Gespräch mit der 21-Jährigen wird einem schnell klar, dass ihr Engagement von viel mehr angetrieben wird als frühkindlicher Prägung durch das Elternhaus – dem Pflichtgefühl, einen Beitrag in der Klimakrise zu leisten. In einem Kommentar in der taz sagt sie über sich und die Bewegung Fridays for Future: „Wir sagen ungern Klimawandel, denn dieser Begriff impliziert, wir hätten es mit einem langsamen Prozess zu tun. Er lässt die Illusion zu, wir könnten kleine Schritte machen, um dann in vielen Jahren das Ziel einer nachhaltigen Gesellschaft erreicht zu haben.“

„Die Verbindung von Gesellschafts- und Naturwissenschaften ist ein Schlüssel, um die Ursachen der Klimakrise zu verstehen.“

L. F. i. M.-B.: Für welche Berufsbilder bereitet der Studiengang Agrarwissenschaften die Absolventinnen und Absolventen vor? Haben Sie damit ein konkretes Berufsziel?

Lucia Parbel: Schwer zu sagen. Für mich geht es beim Studieren eher darum, mich intensiv mit einem Thema zu beschäftigen und es wirklich zu verstehen, als darum, meine Karriere vorzubereiten. Das mache ich eher neben dem Studium durch bestimmte Jobs und Praktika, was in meinem Fall oft mit Journalismus zu tun hat. Ich möchte als Journalistin in einer Redaktion arbeiten, was mit Agrarwissenschaften auf jeden Fall geht, wenn man das möchte und sich entsprechend orientiert. Aber es ist vieles möglich, man kann Banker*in, landwirtschaftliche(r) Berater*in oder eben Landwirt*in werden. Viele meiner Kommiliton*innen möchten nach dem Studium auch in der sogenannten Entwicklungshilfe arbeiten. Das schließe ich für mich aber aus, weil ich mich als weiße Europäerin nicht in der Position sehe, in andere Regionen der Welt zu gehen und den Menschen dort zu erklären, wie Landwirtschaft funktioniert. Viele Probleme dort sind erst aus der Einmischung durch weiße Menschen entstanden – darum sollte man sich gut überlegen, ob das die richtige Motivation ist, Landwirtschaft zu studieren, finde ich.

„In den Agrarwissenschaften gibt es mehr Frauen als in der landwirtschaftlichen Praxis – dort ist nur eine Minderheit der Betriebsleiter*innen weiblich.“

L. F. i. M.-B.: Für welche Berufsbilder bereitet der Studiengang die Absolventinnen und Absolventen vor? Haben Sie damit ein konkretes Berufsziel?

Lucia Parbel: Schwer zu sagen. Für mich geht es beim Studieren eher darum, mich intensiv mit einem Thema zu beschäftigen und es wirklich zu verstehen, als darum, meine Karriere vorzubereiten. Das mache ich eher neben dem Studium durch bestimmte Jobs und Praktika, was in meinem Fall oft mit Journalismus zu tun hat. Ich möchte als Journalistin in einer Redaktion arbeiten, was mit Agrarwissenschaften auf jeden Fall geht, wenn man das möchte und sich entsprechend orientiert. Aber es ist vieles möglich, man kann Banker*in, landwirtschaftliche(r) Berater*in oder eben Landwirt*in werden. Viele meiner Kommiliton*innen möchten nach dem Studium auch in der sogenannten Entwicklungshilfe arbeiten. Das schließe ich für mich aber aus, weil ich mich als weiße Europäerin nicht in der Position sehe, in andere Regionen der Welt zu gehen und den Menschen dort zu erklären, wie Landwirtschaft funktioniert. Viele Probleme dort sind erst aus der Einmischung durch weiße Menschen entstanden – darum sollte man sich gut überlegen, ob das die richtige Motivation ist, Landwirtschaft zu studieren, finde ich.

„Frauen und FINTA1-Personen werden sich mit der Zeit all die Räume nehmen, in denen sie bisher unterrepräsentiert sind.“

L. F. i. M.-B.: Im Fach Agrarwissenschaften sind an Ihrer Uni gut die Hälfte der Immatrikulierten weiblich – warum ist die Quote hier im Vergleich zu anderen MINT-Disziplinen so fortgeschritten?

Lucia Parbel: Gute Frage! Dazu fällt mir als Erstes ein, dass das eine Besonderheit von universitären Landwirtschaftsstudiengängen zu sein scheint. Ich kenne Frauen, die an Fachhochschulen Agrarwissenschaften studiert haben und eine von drei, vier weiblichen beziehungsweise weiblich gelesenen2 Studierenden waren. Vielleicht ist das an Unis anders, weil weniger Studierende nach ihrem Abschluss tatsächlich in die praktische Landwirtschaft gehen, sondern eher andere Berufe wählen. In der Praxis ist nur eine Minderheit der Betriebsleiter*innen weiblich. Vielleicht geht es Vielen so wie mir, dass die Verbindung von Gesellschafts- und Naturwissenschaften die Hemmschwelle senkt – ich glaube, viele Frauen, viele FINTA1-Personen fühlen sich in gesellschaftswissenschaftlichen Fakultäten wohler, weil diese nicht so männerdominiert sind. Das war auch nicht immer so, und ich bin sicher, dass sich diese Entwicklung fortsetzen wird. Frauen und FINTA1-Personen werden sich mit der Zeit all die Räume nehmen, in denen sie bisher unterrepräsentiert sind – irgendwann auch die landwirtschaftlichen Hochschulen und die Chefpositionen der Betriebe. Frauen und FINTA1-Personen müssen dabei aktiv unterstützt und gefördert werden, wir können aus unserer Position heraus das Problem nicht ganz allein lösen.

„Die Agrarwissenschaften geben mir kontinuierlich mehr inhaltliche Sicherheit für die Klimadebatte.“

L. F. i. M.-B.: Wie viel hat Ihr Engagement bei Fridays for Future mit Ihrer Studienwahl zu tun? Vermitteln die Agrarwissenschaften Wissen, das in der Klimadebatte hilfreich ist?

Lucia Parbel: Mein Studium und meinen Aktivismus verbindet mein unbedingter Wille, die Klimakrise nicht einfach so passieren zu lassen. Das war der Grund, weshalb ich angefangen habe, Agrarwissenschaften zu studieren und weshalb ich 2019 zu meinem ersten Klimastreik gegangen bin. Also hat beides sehr viel miteinander zu tun. Im Aktivismus mache ich Arbeitserfahrungen, die beeinflussen, in welche Richtung ich Fächer wähle. In meinem Studium kann ich wiederum tolle Module belegen, in denen es um innovative Landwirtschaftspraktik, um die Theorie hinter gesellschaftlichem Wandel, um Weltwirtschaft, um Menschenrechtskrisen und um die Grundlagen der Klimaforschung geht – daraus schöpfe ich total viel für den Aktivismus. Mein Studium gibt mir kontinuierlich mehr inhaltliche Sicherheit.

L. F. i. M.-B.: Warum fassten Sie den Entschluss, in der Ortsgruppe aktiv zu werden?

Lucia Parbel: Ich habe, seit ich 14 oder 15 war, eine Gruppe gesucht, in der ich gegen die Klimakrise aktiv werden kann. In der Kleinstadt, in der ich aufgewachsen bin, gab es keine solche Gruppe. Nach dem Abi bin ich nach Karlsruhe gezogen, da habe ich Treffen von Greenpeace und der Linksjugend besucht, das war beides nicht so meins. Als die Freitagsstreiks anfingen, war ich sofort Feuer und Flamme für die Aktionsform und wollte unbedingt helfen, die Streiks mitzuorganisieren. Das habe ich dann einfach gemacht und bin dabeigeblieben, weil ich die Ortsgruppe als einen Ort erlebt habe, an dem es keine vorgegebenen Strukturen gibt, an die ich mich anpassen muss – sondern an dem ich selbst gestalten kann und meine Ideen ernst genommen werden.

„Meine eigene Zukunft ist so ungewiss, dass meine Ausbildung noch so gut sein kann und es mir in der Klimakatastrophe, die kommen wird, trotzdem nichts bringt.“

L. F. i. M.-B.: Was ist Ihre persönliche Theorie zum Phänomen „Fridays for Future“ – wie konnte aus einer One-Woman-Show eine globale Bewegung werden? Und inwiefern halten Sie die Bewegung für erfolgreich?

Lucia Parbel: Das ist wieder so eine spannende Frage, da könnte ich jetzt Stunden drüber philosophieren, denn das frage ich mich ja auch die ganze Zeit. Ich versuche mich mal ganz kurz zu fassen: Ich denke, dass Viele, die im gleichen Alter sind wie ich und vor allem diejenigen, die ähnlich privilegiert groß werden durften wie ich – im Sinne von: gute Schule, Eltern mit akademischer Ausbildung, nicht betroffen von rassistischer Diskriminierung – einfach super früh verstanden haben, dass Klimakrise heißt: Meine eigene Zukunft ist so ungewiss, dass meine Ausbildung noch so gut sein kann und es mir in der Klimakatastrophe, die kommen wird, trotzdem nichts bringt. Das ist kein schönes Gefühl. Darum haben sich Viele von Greta Thunbergs Wut und ihrer Aktionsform sehr verstanden gefühlt.

„Wir müssen noch sehr viel lernen , um wirklich solidarisch mit den Menschen zu sein, die jetzt schon von der Klimakrise betroffen sind.“

Aktivist*innen of Colour und Aktivist*innen in Regionen der Welt, bei denen die Klimakatastrophe schon angekommen ist, haben aber eine viel akutere Motivation: Sie wollen etwas stoppen, das ihr eigenes Leben schon jetzt bedroht. Das zusammen macht aus, dass wir eine globale Bewegung sind. Es erklärt aber auch, wieso FFF in Deutschland so groß, und zum Beispiel in Indien aber so viel kleiner ist: Wir haben als FFF Deutschland sehr viel mehr Zeit und Ressourcen, den Protest zu organisieren. Es ist gut, dass wir dieses Privileg nutzen, auch wenn wir noch sehr viel lernen müssen, um wirklich solidarisch mit den Menschen zu sein, die jetzt schon von der Klimakrise betroffen sind. Die Veränderung, die wir dadurch schaffen, ist schwer zu sehen, aber sie ist da. Sie passiert in den Köpfen und zeigt sich unter anderem daran, dass die meisten Menschen jetzt von Klimakrise statt von Klimawandel reden. Oder daran, dass es immer mehr Verständnis für Aktionsformen wie Waldbesetzungen gibt. Das ist das Fundament, auf dem die Klimawende gebaut werden kann.

„Die Klimakrise können wir gar nicht vergessen, selbst wenn wir wollten. Deshalb wird auch der Protest weitergehen.“

L. F. i. M.-B.: Wurde die Bewegung Ihrer Meinung nach durch Corona nur vorübergehend ausgebremst oder ist die Zeit der großen Schülerproteste wieder vorbei?

Lucia Parbel: Was wir brauchen, ist die Straße. Das hat uns die Demo am 25. September wieder überdeutlich gemacht: Die Klimakrise ist noch da, und die Menschen wissen das auch. Wenn wir dazu aufrufen, beteiligen sich wieder Hunderttausende an dem Protest, trotz Corona. Diese Anfangszeit der Pandemie war eine Pause, die wir genutzt haben, um uns zu überlegen, wo wir jetzt stehen und wie wir weitermachen können und wollen. Wir haben uns zum Beispiel damit auseinandergesetzt, wie wir als Bewegung antirassistisch sein können. Und zu der Frage nach der Dringlichkeit: Die ist ja da, egal, was wir machen. Der Klimakrise war Corona egal, das hat dieser heiße, trockene Sommer – der vierte in Folge – gezeigt. Wir können sie gar nicht vergessen, selbst wenn wir wollten. Deshalb wird auch der Protest weitergehen.

L. F. i. M.-B.: Was ist Ihr persönliches Ziel als Aktivistin?

Lucia Parbel: Ich möchte Teil einer gesellschaftlichen Bewegung sein, die der Ungerechtigkeit durch die Klimakrise ein Ende setzt. Ich will so gut ich kann selbst dieser Wandel sein und dazu beitragen, dass so viele Menschen wie möglich das auch sein können – denn kein Mensch ist gerne Teil eines ungerechten Systems. Klar, die Emissionen müssen runter, das ist auch mein Ziel, aber es geht um mehr. Im Zentrum stehen für mich nicht bloß ein paar Reduktionsziele, sondern Menschen. Ich bin dann glücklich, wenn ich spüre, dass ich zu einer progressiven Bewegung gehöre, die einen Unterschied macht und die niemanden ausschließt.

„Wir müssen lernen, uns selbst ernst zu nehmen.“

L. F. i. M.-B.: Was würden Sie Schülerinnen in Bezug auf die Ausbildungs- bzw. Studienwahl raten wollen?

Lucia Parbel: Vielleicht das, was meine Eltern immer zu mir sagen: Klar kannst du das. Junge Frauen und FINTA1-Personen bekommen oft das Gefühl vermittelt, dass sie erst beweisen müssen, dass sie was draufhaben, bevor sie irgendwo ernst genommen werden. Also ist das Wichtigste, dass wir lernen, uns selbst ernst zu nehmen. Wenn wir uns immer wieder selbst und gegenseitig versichern, dass wir das können, was wir gern tun würden, dann lernen wir zu spüren, was uns interessiert und was wir erreichen wollen. Dabei ist aber auch wichtig, entspannt damit umzugehen, wenn mal etwas nicht klappt. Das hat dann nichts mit unserem Können zu tun, sondern es hat eben einfach nicht gepasst und eröffnet die Chance, etwas Anderes auszuprobieren.

Wir bedanken uns bei Lucia Parbel für das Gespräch und wünschen alles Gute für die nächsten Projekte.

 

Anmerkungen im Text:

1FINTA: Die Abkürzung steht für Frauen, Inter-Menschen, Nichtbinäre Menschen, Trans- und Agender-Menschen. Der Begriff wird hier verwendet, weil nicht nur Frauen, sondern auch Menschen, die sich als inter, nichtbinär, trans- und agender identifizieren, von Sexismus betroffen sind.

2Mit weiblich gelesen ist gemeint, dass das Geschlecht einer Person auch ein anderes sein kann, als die Person annimmt, die sie ansieht. Um zu berücksichtigen, dass es auch Menschen gibt, deren biologisches sich von ihrem tatsächlichen Geschlecht unterscheidet, wird an dieser Stelle „weiblich gelesene Menschen“ statt „Frauen“ verwendet.

Lucia Parbel, Studentin der Agrarwissenschaften, lehnt an einer Steinmauer und lacht jemanden freundlich an.

Infos zu Lucia Parbel:

Lucia Parbel ist 21 Jahre alt und eine der wichtigsten Treiberinnen in der Stuttgarter Klimaprotest-Szene. An der Universität Hohenheim studiert sie Agrarwissenschaften – einen Studiengang, der Gesellschaft und Naturwissenschaft vereint und aus dem die junge Aktivistin Wissen und Inspiration für das Leben und ihre berufliche Weiterentwicklung schöpft.

Fotos: Lucia Parbel

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