Liza Heilmeyer ist Vorsitzende des BDA Baden-Württemberg und sehnt sich nach einem neuen Verständnis von Nachhaltigkeit in der Architektur
„Der Traum vom ewigen Wachstum ist geplatzt. Reduktion ist keine modische Attitüde, sondern Überlebensnotwendigkeit“ – mit diesen klaren Worten beginnt der Prolog des „Haus der Erde“, eines Positionspapiers des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten, kurz BDA, von 2019. Den Vorsitz des BDA Baden-Württemberg übernahm kürzlich Liza Heilmeyer, Dipl.-Ing. Architektin und geschäftsführende Gesellschafterin eines Stuttgarter Architekturbüros. Sie sieht die Aufgabe des BDA darin, sich konstruktiv in die gesellschaftliche Debatte um die gebaute Umwelt einzubringen und ein Bewusstsein für die Qualitäten unserer Lebensräume zu schaffen. Dabei stehen gleichermaßen die Gestaltung als gesellschaftlicher Mehrwert und die Schonung unserer Ressourcen im Fokus.
Als Vorsitzende trägt Liza Heilmeyer die Aussagen des BDA-Positionspapiers mit. Ihr Traum ist es, dass klimagerechtes Bauen ein selbstverständlicher Standard wird, der jeder Stilrichtung und jeder Idee zugrunde liegt. Dabei geht es um mehr als die Energieeffizienz des Hauses: Die Herstellung der Baustoffe muss weniger CO2 emittieren, Baumaschinen müssen emissionsfrei laufen und Verpackungen müssen minimalisiert und abbaubar gestaltet werden. „Architekten und Stadtplaner sind Impulsgeber, und ihre gebauten Werke können Katalysatoren für ein Umdenken sein“, betont der BDA. Im Gespräch mit der Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen bespricht Liza Heilmeyer diese Vorreiterrolle ihres Berufsstands und die Vereinbarkeit von klimagerechter Architektur mit der aktuellen Realität im Planungsalltag.
Als Architektin denkt man sich in viele Lebensbereiche intensiv ein, um räumlich passende Lösungen zu finden.
Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen: Was hat Sie motiviert, in der Architektur tätig zu werden?
Liza Heilmeyer: Es war zunächst die Vielseitigkeit, das lösungsorientierte und kommunikative Arbeiten, die mich begeistert haben: die Notwendigkeit, sich in viele Lebensbereiche intensiv eindenken zu müssen, um räumlich passende Lösungen zu finden. Das Spektrum, mit dem wir in Berührung kommen, ist unglaublich groß. Von Gesellschaftswissenschaften über Naturwissenschaften, Kunst und Ingenieurswissenschaften. Mich hat die Komplexität der Fragestellungen, die die räumliche Gestaltung zum Ziel hat, ungeheuer fasziniert. Lebensräume zu schaffen, die zum Wohlbefinden beitragen, zur Aneignung anregen und neugierig machen, einen positiven Rahmen für Lebens- und Arbeitsbedingungen schaffen, ist einfach eine tolle Aufgabe.
Nachhaltigkeit sollte man ganzheitlich betrachten.
L. F. i. M.-B.: Die Arbeit als Architektin vereint in sich das Zusammenspiel zwischen Ingenieurskunst und Design. In welchem der beiden Gebiete fühlen Sie sich mehr zu Hause? Und werden Ihre gestalterische Freiheit und die Schönheit von Architektur durch die Anforderungen an klimagerechtes Bauen eingeschränkt?
Liza Heilmeyer: Ich kann diese Bereiche nicht voneinander trennen und halte es auch nicht für nachhaltig, das zu tun. Zudem vereint unsere Disziplin noch viel mehr. Das macht sie schwerer greifbar als eine eindeutige Expertise. Der Begriff Design wird meines Erachtens vielfach zu oberflächlich für die äußere Gestalt angewendet. Gute Architektur und gute Gestaltung entstehen immer in Abhängigkeit von ihren Rahmenbedingungen. Dazu gehören äußere Faktoren wie die Topografie, der Ort, die städtebaulichen Rahmenbedingungen, die äußere Erschließung sowie innere Faktoren wie die Bedürfnisse der Nutzer, die Funktion des Hauses, das gewünschte Budget, energetische und statische Fragestellungen.
Das nachhaltige und klimagerechte Bauen gibt diesen Parametern nun neue Vorzeichen, mit denen es umzugehen gilt. Das ist eine weitere Herausforderung unseres Berufsstandes, aber auch der Bauherren hinsichtlich ihrer Budgets und ihrer Vorstellungen, die entsprechend angepasst werden müssen. Wenn Nachhaltigkeit zu eindimensional betrachtet wird, kann das tatsächlich eine große Einschränkung sein, ganzheitlich betrachtet sehe ich aber in Herausforderungen immer eher neue Chancen.
Klimagerechtes Bauen ist (noch) ein ziemlich unbequemer Weg.
L. F. i. M.-B.: Das Positionspapier des BDA betont: Die Architektur muss ihre Mitverantwortung am steigenden Ressourcenverbrauch erkennen und als Vorreiter für klimagerechtes Bauen aktiv werden. Sorgt die Motivation der Bauherrinnen und Bauherren, später möglichst wenig für die Energieversorgung ihres Hauses auszugeben, nicht schon dafür, dass heutzutage klimagerechter gebaut wird?
Liza Heilmeyer: Das ist nur ein Aspekt, der in den letzten Jahren sehr in den Fokus gerückt wurde. Beim Bauen eines neuen Gebäudes wird in Abhängigkeit der verbauten Materialien und der Herstellungsprozesse sehr viel Energie, die sogenannte graue Energie, verbraucht. Zudem wird unglaublich viel Müll produziert und es werden z.B. erdölreiche Stoffe für Wärmedämmung eingesetzt, die selbst wiederum Sondermüll darstellen. Der Flächenverbrauch spielt ebenso eine Rolle wie die grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Nutzung des Gebäudebestandes, der bereits viel CO2 in sich trägt.
Wenn Sie sich die Vielzahl der Aspekte ansehen, die klimagerechtes Bauen mit sich bringt, merken Sie, dass das ein ziemlich unbequemer Weg ist. Wirtschaftliche Interessen, Verordnungen und Prozesse stehen im Weg. Etwas Neues entsteht in erster Linie im Experiment. Die Bereitschaft zum Experimentieren ist beim Bauen sehr gering. Dazu braucht es zunächst einige Pioniere, übrigens auch Bauherren, die neue Ideen voranbringen. Außerdem ist die Bauwirtschaft unglaublich träge. Wenn Sie auf die Automobilwirtschaft schauen und sehen, wie schwer wir uns selbst im Bereich der Mobilität mit dem Einsatz neuer Technologien tun, dann können Sie sich vorstellen, wie lange so ein Prozess im Bereich der Immobilien dauert. Am Ende brauchen wir einfache Werkzeuge, zertifizierte Verfahren und Werkstoffe, die wir ganz selbstverständlich anwenden können.
„Das Geld für klimagerechtes Bauen muss in die Hand genommen werden – wir schulden die innovativen Ansätze.“
L. F. i. M.-B.: Wie viel können Sie im Bauprozess hin zu einem klimagerechteren Objekt beeinflussen? Wie viel Freiheit lässt Ihnen die Auftraggeberin oder der Auftraggeber normalerweise?
Liza Heilmeyer: Ein Bauwerk entsteht immer im Zusammenspiel zwischen den Bauherrinnen und Bauherren und Architektinnen und Architekten. Gute wie nachhaltige Architektur kann immer nur in dieser vertrauensvollen Zusammenarbeit entstehen. Manches dabei kostet leider aktuell noch mehr Geld und manches mehr Zeit und Gedanken. Der Bauherr oder die Bauherrin muss gewillt sein, das Geld in die Hand zu nehmen, und wir Planer schulden die innovativen Gedankenansätze. Wir bei Birk Heilmeyer und Frenzel Architekten arbeiten sehr viel für öffentliche Bauherren. Hier sind die Prozesse sehr stark formalisiert, und der Rahmen ist sehr eng gesteckt. Das betrifft sowohl das Budget als auch die Offenheit für experimentelle Ansätze. Das ist verständlich, da die Vertreter, mit denen wir zu tun haben, selbst Rechenschaft für ihr Tun ablegen müssen; und es gehört immer viel Mut dazu, neue Wege zu gehen.
„Wir sind mitten im Prozess ein neues Bauhaus zu formieren.“
L. F. i. M.-B.: Inwiefern haben Sie den Vorsitz beim BDA Baden-Württemberg mit der Motivation angenommen, das Thema klimagerechtes Bauen weiter voranzutreiben und aktiv mitzugestalten?
Liza Heilmeyer: Das ist ein Teil meiner Motivation. Wir können uns als Berufsstand diesem Thema nicht entziehen, wenn wir relevanter Teil dieser Gesellschaft sein wollen. Ich denke, dass wir mit unseren Kompetenzen eine Schlüsselrolle in der Veränderung der Prozesse einnehmen. Das können wir nur, wenn wir uns auch jenseits der eigenen Projektarbeit aktiv in den Diskurs einbringen. Gleichzeitig ist es wichtig, ein Verständnis für die Qualität unserer gebauten Umwelt jenseits kurzlebiger Moden zu vermitteln. Ursula von der Leyen fordert in diesem Zusammenhang ein „neues Bauhaus“, und ich denke, wir sind mitten im Prozess, dieses zu formieren.
L. F. i. M.-B.: Das Positionspapier des BDA äußert sich kritisch bezüglich Neubauten und schlägt vor, Bestandsgebäude zu erhalten und weiterzubauen. Neu entstehende Gebäude müssten zudem weit über ihre derzeit wirtschaftlich kalkulierte Lebensdauer von 30 bis 50 Jahren nutzbar sein, damit sie dem Nachhaltigkeitsgedanken entsprechen. Ist „Weiterbauen“ das neue „Neubauen“?
Liza Heilmeyer: Bestandsbauten bieten bisweilen ungeheure Potentiale für unkonventionelle Lösungen in allen Funktionsbereichen unseres Lebens. An manchen Stellen werden aber Räume dort benötigt, wo noch kein Gebäude besteht, und manchmal erfüllen Gebäude einfach nicht die gestellten Anforderungen. Manchmal bietet der Neubau ein hohes Nachverdichtungspotential oder eine wesentliche Verbesserung der Lebensbedingungen. Insofern glaube ich nicht, dass wir ganz ohne Neubauen auskommen. Allerdings sind es meist primär wirtschaftliche Interessen, die für den Abriss eines Gebäudes sorgen, und Alternativen werden nur unzureichend untersucht. Hier denke ich nicht, dass das Weiterbauen bereits in der Realität angekommen ist. Es herrscht definitiv noch Handlungsbedarf.
Beton durch Holz zu ersetzen, ist nur ein Ansatz für klimagerechtes Bauen.
L. F. i. M.-B.: Beton ist als Baumaterial über Jahrzehnte zum selbstverständlichen Merkmal von Gebäuden geworden, dabei gehört es mit Stahl zu den sehr energieintensiv erzeugten Materialien. Warum dauert(e) es aus Ihrer Sicht so lange, Alternativen zu dieser Bauart attraktiv zu machen?
Liza Heilmeyer: Stahlbeton ist ein sehr leistungsfähiges und dauerhaftes Material, mit dem es sich noch dazu relativ einfach bauen und planen lässt. Es vereint bautechnisch, z.B. in den Bereichen Schallschutz, Brandschutz, etc. viele positive Eigenschaften. Der Holzbau ist aus planerischer Sicht viel komplexer. Schallschutz, Feuchteschutz, sommerlicher Wärmeschutz und Tragwerk, vom Brandschutz ganz zu schweigen, bedürfen größter planerischer Sorgfalt. Da hier in der Vergangenheit auch Fehler gemacht wurden, sind die Vorbehalte gegen den Baustoff noch immer groß. Allerdings wurde in den letzten Jahren viel Pionierarbeit geleistet und damit eine breite Basis an Planungsgrundlagen geschaffen, die allgemein zugänglich ist.
Gleichzeitig mussten die planungsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, um den Holzbau jenseits von Einfamilienhäusern möglich zu machen. Holz ist einer der Baustoffe, die das größte Potential bei der Substitution von Beton haben, denn Holz ist nachwachsend und ein natürlicher CO2-Speicher. Wenn es lokal verfügbar ist, wird zur Herstellung von Bauteilen aus Holz nur wenig CO2 benötigt. Es wird aber auch nötig sein, bei vielen anderen Baumaterialien umzudenken und Prozesse zu verbessern. Hierin sehe ich nicht nur ein Problem, sondern vor allem eine große Chance und viel Entwicklungspotential für die Bauindustrie. Das ist im Prinzip vergleichbar mit dem Wandel in der Automobilindustrie. Dazu kommt das ganze Feld der Kreislaufwirtschaft.
Unser Berufsalltag erfordert viel Flexibilität.
Liza Heilmeyer: Das ist eine schwierige Frage. Grundsätzlich glaube ich aber schon daran. Die Strukturen sind das eine, die Anforderungen in unserem Beruf das andere. Insbesondere in Büros, die einen hohen Gestaltungsanspruch haben, ist unser Beruf sehr fordernd. Das ist vergleichbar mit der Forschung. Unsere Arbeitslast ist manchmal schwer planbar. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist dabei oft eine weitere Hürde. Ich selbst habe das als große Herausforderung empfunden, die bisweilen an die oberste Belastungsgrenze ging. Unser Berufsalltag ist geprägt von sehr vielen Unwägbarkeiten und erfordert nach wie vor viel Flexibilität. Strukturen und gute Teamarbeit können dabei helfen, diesen Spagat zu meistern.
Wir bedanken uns bei Liza Heilmeyer für das Gespräch und wünschen alles Gute für die nächsten Projekte.
Infos zu Liza Heilmeyer:
Liza Heilmeyer, Dipl.-Ing. Architektin BDA, wurde 1975 in Freiburg im Breisgau geboren. Nach dem Abitur absolvierte sie ein einjähriges Studium an der Freien Kunstschule Stuttgart und studierte im Anschluss Architektur an der Universität Stuttgart, wo sie 2003 diplomiert wurde. Nach dem Diplom arbeitete sie im Büro Foster+Partners in London. Dann gründeten Liza Heilmeyer und Stephan Birk 2005 ihr eigenes gemeinsames Büro in Stuttgart. Ihre Arbeiten wurden mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet, darunter der Deubau-Preis für junge Architekten, der Förderpreis der Architekturgalerie am Weißenhof und der Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen für junge Künstlerinnen und Künstler. 2009 erfolgte die Berufung in den Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA). 2010 und 2012 war sie Mitglied im Konvent der Baukultur der Bundesstiftung Baukultur. Im Oktober 2020 wurde Liza Heilmeyer zur neuen Landesvorsitzenden des BDA Baden-Württemberg gewählt.
Mehr Informationen zu Liza Heilmeyer und ihrer Arbeit als Architektin hier.
Fotos: Andreas Labes; Bernhard Strauss vom RIZ
Lesen Sie passend dazu auch die Interviews mit weiteren MINT-Heldinnen, die sich mit aktuellen Themen beschäftigen:
- Prof. Dr.-Ing. Nejila Parspour vom iew ist eine MINT-Heldin auf dem Gebiet der Elektrotechnik und forscht unter anderem an induktiver Energieübertragung in den Bereichen Automobilität und Medizintechnik
- Dr. Anette Weisbecker vom Fraunhofer IAO über das Zusammenspiel von Mensch, Technik, Digitalisierung und Organisation
- Lucia Parbel, Studentin der Agrarwissenschaft und Aktivistin bei Fridays for Future Stuttgart
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