Dr. Mariola Fotin-Mleczek von der CureVac AG über den Impfstoff gegen COVID-19 und ihre Rolle als Forscherin
Das Tübinger Biotech-Unternehmen CureVac hat sich derzeit einer ganz besonderen MINT-Mission verschrieben: Das Forscherteam arbeitet mit Hochdruck an einem Impfstoff gegen das Coronavirus. Das Unternehmen profitiert dabei von Erkenntnissen, die es durch zwei Jahrzehnte intensiver Beschäftigung mit der mRNA-Technologie gewinnen konnte. Dieses Verfahren ahmt gewissermaßen die Natur nach, um dem Körper die Information bereitzustellen, die er benötigt, um gegen einen Gegner, also das Virus, zu kämpfen.
Im Vorstand des Biotech-Unternehmens sitzt eine echte MINT-Heldin: Dr. Mariola Fotin-Mleczek, Chief Technology Officer der CureVac AG, Biologin und Expertin für Immunologie. Im Interview mit der Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen gewährt sie interessante Einblicke in ihre Arbeit und ihre Rolle als Wegbereiterin der Immunologie.
Dr. Mariola Fotin-Mleczek: Mit unserer Technologie optimieren wir das körpereigene Botenmolekül mRNA, um völlig neue Wege in der Medizin einzuschlagen. Als Chief Technology Officer bin ich für alle wissenschaftlichen Aspekte, das heißt für die (Weiter-)Entwicklung, Optimierung und Funktionalität unserer Technologie verantwortlich. Eine breite medizinische Anwendung steht für uns dabei im Mittelpunkt. Im Falle von prophylaktischen Impfstoffen ist unsere Technologie dafür optimiert, die körpereigenen Abwehrmechanismen effizient zu mobilisieren und gegen ein Pathogen wie SARS-CoV-2 zu richten. Dabei arbeiten wir nicht mit dem Virus selbst, sondern mit dessen genetischer Information, die auf dem mRNA-Molekül kodiert und unseren Zellen in Form einer Impfung zur Verfügung gestellt wird.
Für unseren COVID-19-Impfstoff greifen wir dabei auf die Erkenntnisse zurück, die wir in der Vergangenheit bereits in zahlreichen Experimenten gewonnen haben. Diese setzen wir ein, um sowohl die Bildung des viralen Proteins als auch die Aktivierung der angeborenen Immunität optimal zu unterstützen. Beide Faktoren sind für einen Impfstoff entscheidend, um eine gute und sichere Immunantwort auszulösen. Demnach bedeutet Technologieentwicklung, die verschiedenen Teile des mRNA-Puzzles optimal für den gewünschten therapeutischen Einsatz zusammenzusetzen, damit eine breite Anwendung sowohl für prophylaktische Impfstoffe wie auch in der Onkologie und in anderen Bereichen möglich wird. Das sind Tätigkeiten, die in den Aufgabenbereich meines Teams fallen.
„Technologieentwicklung bedeutet, die verschiedenen Teile des mRNA-Puzzles optimal zusammenzusetzen.“
M. F.-M.: COVID-19 stellt derzeit unser Kernprojekt dar, an dem ein sehr großer Teil des Unternehmens arbeitet. Die Zusammenarbeit ist sehr interdisziplinär, international und abteilungsübergreifend: Im Labor arbeiten beispielsweise mehrere Dutzend Wissenschaftler an der Impfstoffentwicklung, während sich andere Fachleute um die Produktion der Wirkstoffmengen kümmern. Aber auch Abteilungen wie die Qualitätskontrolle oder das Prozessmanagement leisten ihren Beitrag zur Entwicklung des Impfstoffes. Darüber hinaus arbeiten wir sehr eng mit einem Netzwerk von Experten zusammen, die uns mit ihrem Rat und ihrer langjährigen Expertise im Bereich der Impfstoffentwicklung tatkräftig zur Seite stehen. Dazu zählen etwa auch die großartigen Impfstoffexperten, die in unserem Aufsichtsrat vertreten sind, denn sie helfen uns, schnell und effizient voranzukommen.
„Die größte Herausforderung besteht darin, dass die konkreten Aktivitäten erst dann beginnen können, wenn das Virus bekannt und analysiert ist.“
M. F.-M.: Die größte Herausforderung bei der Entwicklung eines Impfstoffes gegen ein neues Virus besteht darin, dass die konkreten Aktivitäten erst dann begonnen werden können, wenn das Virus bekannt und analysiert ist. Darüber hinaus werden, um einen möglichen Impfstoff umfangreich zu testen und seine Schutzwirkung sowie Sicherheit zu demonstrieren, bestimmte Tiermodelle und andere analytische Werkzeuge benötigt, die ebenfalls Zeit in ihrer Entwicklung benötigen. Das führt dazu, dass ein Impfstoff aufgrund seiner Entwicklungszeit und der durchzuführenden Studien, die etwa die Sicherheit, Verträglichkeit und Wirksamkeit des Wirkstoffes testen, erst deutlich nach dem Ausbruch einer Pandemie zur Verfügung stehen kann, dann allerdings zum vorbeugenden Schutz. Unsere Technologie eignet sich aber besonders dafür, schnell auf virale Ausbrüche wie den gegenwärtigen reagieren zu können: Denn sobald die mRNA-Sequenz festgelegt wird, kann der Impfstoff mittels eines universellen Produktionsprozesses, der für alle mRNA-Sequenzen gleich ist, schnell produziert werden
L. F. i. M.: Eine Pandemie und die Suche nach einer Lösung hierfür bedeuten für Sie als Forschungsteam und die gesamte Bevölkerung eine Extremsituation. Bemerken Sie eine andere Herangehensweise bzw. ein anderes Arbeiten aufgrund dieser Umstände?
M. F.-M.: Es findet eine starke internationale Zusammenarbeit beziehungsweise ein starker internationaler Austausch statt, um der Pandemie, die nicht an Landesgrenzen haltmacht, mit vereinten Kräften zu begegnen. Wir haben viele großartige Kooperationspartner, die ähnlich wie unser Team alles Mögliche tun, um die Impfstoffentwicklung voranzutreiben. Zudem spüren wir eine deutlich gestiegene öffentliche Wahrnehmung, die sich auch im medialen Interesse an unserem Unternehmen niederschlägt. Auch wenn das Projekt Schnelligkeit verlangt und der öffentliche Druck höher als gewöhnlich ist, arbeiten wir konzentriert und mit Hochdruck daran, unserer globalen Verantwortung gerecht zu werden sowie einen wirksamen und sicheren Impfstoff zu entwickeln.
„Einen Blick in die Glaskugel zu werfen ist immer schwierig, das möchte ich mir nicht anmaßen. Aber wir sind sehr zuversichtlich.“
M. F.-M.: Unser Coronavirus-Impfstoffkandidat zeigt dank optimierter mRNA-Plattform bereits positive präklinische Ergebnisse bei einer sehr niedrigen Dosierung. Das stimmt uns sehr zuversichtlich. Als Nächstes folgen die klinischen Tests am Menschen, voraussichtlich ab Juni dieses Jahres. Mit den ersten Daten aus diesen Untersuchungen rechnen wir einige Wochen nach Studienstart, sie entscheiden über den weiteren Verlauf. Einen Blick in die Glaskugel zu werfen ist immer schwierig, das möchte ich mir nicht anmaßen. Aber wir sind sehr zuversichtlich hinsichtlich des Potenzials unserer Technologie und somit der Wirksamkeit unseres Impfstoffes.
L. F. i. M.: In der Berichterstattung und öffentlichen Diskussion innerhalb der Coronakrise rückten Wissenschaftler weltweit zunehmend in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit – wie bewerten Sie diese Entwicklung und spüren Sie persönlich einen gewissen Druck verbunden mit dieser Tatsache?
M. F.-M.: Grundsätzlich begrüße ich eine stärkere öffentliche Aufmerksamkeit für die Arbeit, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – oftmals im Hintergrund – leisten. Natürlich verspürt man verbunden mit dem gestiegenen öffentlichen Interesse auch einen gewissen (Erfolgs-)Druck, der mich persönlich allerdings noch einmal mehr anspornt denn belastet.
L. F. i. M.: Irgendwann ist die Coronakrise hoffentlich überwunden. Haben Sie schon eine Vorstellung, was „Back to Business“ für Sie bedeuten wird, wenn Sie sich Ihren bisherigen Forschungstätigkeiten zuwenden können?
M. F.-M.: Es würde mich sehr freuen, wenn die Coronakrise überwunden wird und wir dazu einen wichtigen Beitrag leisten können. Ich bin mir sicher, dass unsere im COVID-19-Projekt gewonnenen Erfahrungen auch für andere Projekte sehr hilfreich sein werden, denn wir lernen enorm viel dazu. Allerdings würde es mich auch freuen, wenn wir uns dann nach erfolgreicher Überwindung der Krise wieder verstärkt unseren anderen Projekten widmen können, da CureVac seine Technologien ja nicht nur zur Entwicklung von prophylaktischen Impfstoffen, sondern auch zur Entwicklung von Krebstherapien, Antikörpertherapien und zur Behandlung von seltenen Erkrankungen einsetzt. Wir werden weiter kontinuierlich daran arbeiten, das vielseitige mRNA-Molekül für den medizinischen Einsatz zu entwickeln, zu optimieren und in klinischen Studien zu testen.
„Ich bin eine Wissenschaftlerin im Kopf und im Herzen, komplexe wissenschaftliche Fragen und Zusammenhänge faszinieren mich bis heute.“
M. F.-M.: Ein großes Ziel, das mich – und ich bin mir sicher auch viele meiner Kolleginnen und Kollegen – motiviert, ist, unsere Technologie produktreif zu machen und den Menschen neuartige Medikamente und Impfstoffe anbieten zu können. Dafür arbeiten wir jeden Tag.
L. F. i. M.: Wie sind Sie in der Immunologie gelandet? Und an welchem Punkt in Ihrem Werdegang war für Sie klar, dass Sie in der Forschung tätig sein wollten?
M. F.-M.: Sobald ich mein Biologiestudium begonnen und insbesondere als ich mich im Rahmen meiner Diplom- und Doktorarbeit mit wissenschaftlichen Fragestellungen auseinandergesetzt habe, war für mich klar: Ich möchte in der Forschung arbeiten. Ich bin eine Wissenschaftlerin im Kopf und im Herzen, komplexe wissenschaftliche Fragen und Zusammenhänge faszinieren mich bis heute. Zudem hat meine Neugier nie nachgelassen: Auch wenn ich jetzt im Management bin, möchte ich die Daten sehen und verstehen. Für mich gibt es nichts Spannenderes als darüber nachzudenken, was mit unserer mRNA in der Zelle passiert und was das für unsere Technologie bedeutet. Das Immunsystem ist sehr komplex und raffiniert, unsere Zellen sind ein Mikrokosmos. All das zu studieren ist eine große Herausforderung, aber auch ein großes Abenteuer. Mich macht es glücklich, wenn wir zumindest ein kleines Stück von diesem großen Rätsel enthüllen und für die Medizin nutzen können.
„Junge Frauen brauchen eine frühe und gezielte Heranführung an die Wissenschaft“
M. F.-M.: Ich als Wissenschaftlerin habe mich persönlich nie benachteiligt gefühlt. Vielfach sind Frauen jedoch der Ansicht, nicht gut genug in den naturwissenschaftlichen Disziplinen zu sein. Meiner Meinung nach würde eine frühe und gezielte Heranführung und Förderung junger Mädchen und Frauen an die Wissenschaft dazu beitragen, die eigenen Zweifel abzubauen und den Spaß mit den MINT-Fächern sowie den damit verbundenen Möglichkeiten zu fördern. Daher rate ich allen jungen Frauen, immer neugierig und offen zu bleiben und ihrer Leidenschaft und ihrem Interesse zu folgen – unabhängig davon, wie unüberwindbar die Rahmenbedingungen und Hürden auch erscheinen mögen, es findet sich immer ein Weg.
Dr. Mariola Fotin-Mleczek ist als Chief Technology Officer (CTO) bei CureVac in Tübingen tätig. Sie hat in Biologie an der Universität Stuttgart promoviert. Ihre wissenschaftliche Expertise umfasst die Immunologie, Zellbiologie, Signaltransduktion, Apoptose und Mechanismen der zellulären Aufnahme. Sie kam im Mai 2006 zu CureVac und war zunächst verantwortlich für die Entwicklung und präklinische Prüfung der mRNA-Technologie, die in verschiedenen therapeutischen Bereichen eingesetzt wird: Onkologie, Infektionskrankheiten und Proteintherapie. Sie ist die Erfinderin mehrerer Schlüsselpatente im Zusammenhang mit der mRNA-Technologie und Autorin von mehr als 30 wissenschaftlichen Publikationen mit Schwerpunkt auf eben dieser mRNA-Technologie.
Foto: Dr. Mariola Fotin-Mleczek, CureVac