Maria Stepanov und Franziska Schneider von der Ameria AG in Heidelberg sind zwei Durchstarterinnen in der Tech-Branche und mit Mitte zwanzig echte MINT-Heldinnen. Sie waren als Projektmanager an der Entwicklung des Corona Protection Points beteiligt, eines gestengesteuerten Touchpoints, der beim Corona-Infektionsschutz zum Einsatz kommt. Im Interview mit der Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen erklären sie, welchen Beitrag das Tool in der Coronakrise leistet.
Die Büros, Produktions- und Werkstätten im Land füllen sich seit Wochen wieder. Zwar sind wir noch nicht in der Normalität angekommen, aber unsere Begegnungen nehmen zu. Das Thema Infektionsschutz nimmt dabei eine entscheidende Rolle ein. Arbeitgeber wie Arbeitnehmer und Lehrende wie Auszubildende müssen dafür sorgen, dass das Infektionsrisiko vor Ort minimal bleibt.
Das Heidelberger Unternehmen Ameria entwickelt digitale Technologien und ist Experte für berührungslose Interaktion, zum Beispiel gestengesteuerte Touchpoints. Mit dem Corona Protection Point bietet das Unternehmen ein solches berührungsloses Tool an, das Menschen interaktiv über den Infektionsschutz aufklären kann. Dabei erscheinen auf einem Display kurze Erklärvideos zu den notwendigen Maßnahmen und tagesaktuellen Entwicklungen.
Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen: Frau Schneider und Frau Stepanov, welche Verantwortung hatten Sie bei dem Projekt?
Franziska Schneider: An der Entwicklung des Corona Protection Points waren wir beide von Beginn an beteiligt. Das Projekt habe ich als Projektleiterin gemeinsam mit den Kollegen konzipiert und umgesetzt. Dabei haben wir mit unserem Team das Design, den Videodreh und die App-Entwicklung geplant und realisiert. Das Besondere an diesem Projekt ist die kontinuierliche Weiterentwicklung der App-Inhalte, da die Auswirkungen der Corona-Pandemie sich ständig wandeln und neue Maßnahmen eingeführt werden, die auch im Corona Protection Point abgebildet werden sollen.
Maria Stepanov: Ich habe Franziska bei der Planung und Umsetzung unterstützt. Hin und wieder habe ich in den verschiedenen Projektphasen Feedback gegeben.
„Mit dem Corona Protection Point leisten wir unseren Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie.“
L. F. i. M. B.: Wie funktioniert der Touchpoint eigentlich genau?
Maria Stepanov: Auf dem Bildschirm erscheint eine virtuelle Ärztin, die die vorbeilaufende oder herantretende Person erst mal begrüßt – weil der Sensor sie vorher erkannt und diese Information an das Programm weitergegeben hat. Die Ärztin führt dann zum Nachahmen die richtige Desinfektion der Hände vor – Besucherinnen und Besucher können sich am integrierten berührungslosen Desinfektionsmittelspender bedienen und gleich mitmachen. Zusätzlich können sie weitere allgemeine Informationen zum Infektionsschutz und zur Pandemie abrufen. Das entscheidende Feature dabei: Sämtliche Interaktionen sind berührungslos und erfolgen mit Handgesten, die einen Cursor auf dem Bildschirm bewegen.
L. F. i. M. B.: Frau Schneider, Sie haben den Corona Protection Point vom Konzept bis zur Produktion als eine der Hauptverantwortlichen mitbegleitet. Der Touchpoint wurde schon Mitte April präsentiert und stand damit relativ früh in der Krise zur Verfügung. Wie kam es zu der Idee?
Franziska Schneider: Schon sehr früh in der Coronakrise hat sich abgezeichnet, dass der direkte Kontakt zwischen Menschen und auch mit Oberflächen zur Übertragung des Virus beiträgt. Da wir uns schon seit Jahren auf berührungsfreie Touchpoints fokussieren, war schnell klar, dass wir mit unserer Gestensteuerung über ein Tool verfügen, das in dieser Situation sein volles Potential entfalten kann. Mit dem Corona Protection Point wollten wir daher unseren Teil zur Verlangsamung der Ausbreitung beitragen.
„Der Corona Protection Point steigert das Wohlbefinden aller Beteiligten.“
L. F. i. M. B.: Sie waren im Produktionsprozess ja gewissermaßen die Kontrollinstanz, Frau Stepanov, und haben Feedback gegeben. Jetzt, wo der Touchpoint sich schon vielerorts bewähren musste – erfüllt er die Erwartungen, und wurde Ihr Ziel erreicht?
Maria Stepanov: Unser Ziel haben wir auf jeden Fall erreicht. Der Corona Protection Point wird sehr gut angenommen und das Feedback der Standorte übertrifft teilweise sogar unsere Erwartungen. Er ist eine sehr gute Zusatzmaßnahme im Infektionsschutz und leistet sogar einen Mehrwert, den wir so gar nicht auf dem Schirm hatten: Besucher bzw. Passanten werden nicht nur über die aktuelle Lage informiert, es steigert zudem das Wohlbefinden der Besucher und auch der Mitarbeiter.
Auch in einigen Schulen haben wir ihn installiert. Hier gab es ein paar verhaltene Stimmen, die zu bedenken gaben, dass die Schülerinnen und Schüler den Touchpoint als interaktive Spielerei annehmen und nach kurzer Zeit das Interesse verlieren könnten. Aber dadurch, dass die Inhalte immer aktualisiert werden und interessante Neuigkeiten verbreiten, wird der Corona Protection Point weiterhin oft genutzt. Durch unsere Analysen können wir auswerten, wie häufig der Corona Protection Point genutzt wird und welche Inhalte besonders oft angesehen werden.
„Auch nach Corona wird es Vorbehalte gegen Touch-Screens geben.“
L. F. i. M. B.: Die Ameria AG war schon lange vor der Krise bekannt für ihre Technologie der Gestensteuerung. Wo kommt sie in unserem Alltag überall zum Einsatz und wie funktioniert sie eigentlich?
Maria Stepanov: Unsere Gestensteuerung kommt direkt auf der Fläche zum Einsatz – ob auf Handelsflächen, auf Messen und Events oder im öffentlichen Raum. Einer unserer Touchpoints – der Virtual Promoter – ist ein 84“ großer gestengesteuerter Screen, in dem ein virtueller Promoter die Besucher durch verschiedene Inhalte begleitet. Ähnlich wie der Corona Protection Point erkennt er eine vorbeigehende Person durch den Sensor und spricht sie an. Der Besucher kann dann die Anwendung berührungsfrei mit dem Körper, der Hand oder den Fingern steuern. Die verschiedenen Gesten werden dabei erfasst, interpretiert und zum Beispiel in einen Button-Klick umgewandelt.
L. F. i. M. B.: Gibt es Zukunftspläne für die Technologie, die Sie uns verraten können?
Franziska Schneider: Ja, die gibt es tatsächlich. Wir sind in der stetigen Weiterentwicklung neuer Ideen und Konzepte, denn das Interesse an gestengesteuerten Touchpoints steigt ungemein – in den verschiedensten Bereichen und Branchen. Touchscreens, die mit Berührungen funktionieren, werden wegen der Pandemie in der Öffentlichkeit aktuell wenig bis kaum genutzt. Wir sind überzeugt davon, dass die Vorbehalte dagegen auch nach Corona in der Gesellschaft bestehen bleiben und bieten eine innovative Möglichkeit an, die Touch-Displays zu ersetzen. Aktuell befinden wir uns mitten in der Entwicklung eines innovativen Plug-and-Play-Eingabegeräts, um auch andere Geräte berührungsfrei zu steuern.
„Wir sind die Schnittstelle zwischen Kunde, Kreativität und technischer Umsetzung.“
L. F. i. M. B.: Sie arbeiten an denselben Projekten und teilen sich den Titel „Projektmanager“. Haben Sie beide den gleichen Studienabschluss? Was bedeutet die Jobbeschreibung und waren die Positionen für Sie von Anfang an das „Ziel“?
Maria Stepanov: Ich habe an der Universität Heidelberg angewandte Informatik studiert und schon in meinem Studium als Werkstudentin bei der AMERIA AG gearbeitet. Davor wusste ich nicht genau, was ich eigentlich machen wollte. Als Werkstudentin habe ich hier diverse Projekte in der Konzeption und der Umsetzung unterstützt und konnte mich in das Projektmanagement einarbeiten. Nach meinem Bachelor-Abschluss war es eigentlich selbstverständlich, dass ich hier als Projektmanagerin weiterarbeite. Aktuell mache ich den Master „Digital Management & Transformation“ als Fernstudium, um mich weiterzubilden. Der Master passt perfekt in meinen Beruf. Somit bin ich mehr als glücklich mit dem etwas ungeplanten „Ziel“.
Franziska Schneider: Ich habe Wirtschaftsingenieurwesen am Karlsruher Institut für Technologie studiert – einen Studiengang, der wahnsinnig viele Facetten hat. Die Module reichen von technischen Fächern über Informatik bis zu verschiedenen wirtschaftlichen Bereichen. Diese Vielfalt an verschiedenen Themen begeistert mich – genau das erleben Maria und ich auch täglich in der Praxis. Wir haben direkten Kontakt zu Kunden und entwickeln gemeinsam Idee und Konzept für ein Projekt. Mit unseren Kreativköpfen arbeiten wir am Design des User Interfaces – also der Nutzeroberfläche. Wir geben die Anweisungen an unser Entwicklungsteam und diskutieren verschiedene technische Lösungen im einzelnen Projekt. Wir sind also die Schnittstelle zwischen Kunde, Kreativität und technischer Umsetzung. Das macht den Beruf so spannend!
Generell war diese Position nicht mein ultimatives Ziel – ich weiß nicht, ob ich das überhaupt habe. Mir ist es wichtig, dass mein Beruf die Dinge erfüllt, die für mich wichtig sind: die Zusammenarbeit und die Kreativität im Team, die Möglichkeit, eigene Ideen einzubringen, und eigenverantwortlich umzusetzen. Das ist auf jeden Fall erfüllt!
„Wir studieren etwas, um es zu lernen – nicht, weil wir es schon können.“
L. F. i. M. B.: In beiden Studiengängen waren und sind weibliche Studierende im Vergleich zu männlichen unterrepräsentiert.[1] Woran liegt das Ihrer Meinung nach, und ist dieses Ungleichgewicht auch im Job zu spüren?
Franziska Schneider: Ich glaube, dass das Ungleichgewicht wahrscheinlich durch eine Mischung aus Stereotypen und Unsicherheit zustande kommt. Ich selbst hatte vor meinem Studium wahnsinnige Angst vor dem Programmieren. Ich meinte zu meinen Eltern, dass ich das ja gar nicht kann und habe deshalb am Studiengang gezweifelt. Meine Eltern haben mir Mut gemacht, dass ich ja genau deshalb studiere – um zu lernen. Ich glaube, dass junge Frauen mehr an sich zweifeln als Männer, wenn es um eine Ausbildung oder ein Studium im technischen Bereich geht. Da kann ich nur Mut machen. Auch bei AMERIA sind die Männer in der Überzahl – ehrlich gesagt macht das für mich aber keinen Unterschied. Wir sind alle gleichberechtigt, es geht eher um die Ideen und den Input, den man einbringt, als um das Geschlecht.
[1] 65 weibliche Studierende von 434 im WS 2013/2014 an der Universität Heidelberg im Fach Angewandte Informatik bzw. 677 weibliche Studierende von 3397 im WS 2013/2014 am KIT im Fach Wirtschaftsingenieurwesen.
„Meine Studiengangwahl war strategisch und zukunftsorientiert.“
L. F. i. M. B.: Was hat Sie persönlich bewogen, den jeweiligen Studiengang zu wählen?
Maria Stepanov: Ich hätte tatsächlich nicht gedacht, dass ich Informatik studieren würde. Ich wollte früher unbedingt irgendetwas Kreatives machen. In Mathe war ich nicht die Beste und trotzdem habe ich vor meinem Informatik-Studium zwei Semester Mathe studiert. Ich glaube, man muss nicht außerordentlich begabt in einem Fach sein, um es zu studieren. Es reicht der Wille, dann kann man alles machen. Diese Fächer fordern viel, das ist klar, aber es ist machbar. Ein „Nerd“ oder technisch begabt zu sein ist keine Voraussetzung für MINT-Berufe. Meine Studiengangwahl war eigentlich nur strategisch und zukunftsorientiert – das ist gefühlt ebenfalls typisch männlich. Auch Frauen können sich strategisch entscheiden und eine sichere Zukunft aufbauen.
Franziska Schneider: Ich hatte schon in der Schule Interesse an vielen verschiedenen Themen – zu meinen Lieblingsfächern gehörten Mathe, Französisch und Physik. Die technische Affinität war also schon da. Trotzdem konnte ich mich nie für ein bestimmtes Fach entscheiden – die Mischung macht es! Und wenn es etwas gibt, das den Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen auszeichnet, dann ist es die Vielfalt. Das ist toll, denn man bekommt die Chance, sich immer wieder auszuprobieren. Auf der anderen Seite war es für mich auch oft eine große Herausforderung, unter all den Optionen meinen eigenen Weg zu finden.
L. F. i. M. B.: An welchen Projekten arbeiten Sie zurzeit? Haben Sie ein persönliches Herzensprojekt, das Sie umsetzen möchten?
Franziska Schneider: Ich arbeite gerade vor allem an der Weiterentwicklung der Gestensteuerung an sich – also im Bereich Usability und User Experience. Das große Ziel ist es, die berührungslose Interaktion durch Gesten irgendwann genauso intuitiv zu gestalten wie den Swipe auf dem Smartphone.
Infos zu Franziska Schneider:
Franziska Schneider hat sowohl ihren Bachelor- als auch Masterabschluss am KIT im Fach Wirtschaftsingenieurwesen mit Bestnote abgeschlossen. Ihre Schwerpunkte waren dabei Service Innovation und Entwicklungsmethodik. Schon als Studentin sammelte die heute 27-Jährige Praxiserfahrung als wissenschaftliche Hilfskraft, Tutorin und Praktikantin in unterschiedlichen Bereichen der IT. Die gebürtige Schwäbisch-Hallerin weiß Abwechslung und interkulturellen Austausch zu schätzen – in Istanbul verbrachte sie während des Bachelorstudiums ein Auslandssemester.
Infos zu Maria Stepanov:
Die 26-jährige Heidelbergerin Maria Stepanov ist nun schon seit einigen Jahren fester Bestandteil des IT-Teams der Ameria AG. Sie studierte zunächst ein paar Semester Mathematik, bevor sie zur Angewandten Informatik an der Universität Heidelberg wechselte. Neben allen gängigen Programmiersprachen beherrscht das junge Talent auch mehrere „menschliche“ Sprachen – die Liste reicht von Russisch über Italienisch und Französisch bis hin zu Schwedisch. Nebenberuflich studiert Maria Stepanov derzeit im Masterstudiengang „Digital Management & Transformation“.
Fotos: Franziska Schneider, Maria Stepanov, Ameria AG
Auszeichnung für den Corona Protection Point
Im Rahmen des Digital Festivals 2020 bekam die AMERIA AG für den Corona Protection Point die Auszeichnung „Digitaler Held“. Das Festival war eine Initiative der Landesprojekte Business Innovation Engineering Center (BIEC) und Popup Labor BW und wurde vom 25. bis 29. Mai 2020 für den Mittelstand in Baden-Württemberg veranstaltet.
Mehr zum Corona Protection Point gibt es hier.
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