9. Netzwerktreffen „Beteiligungsprogramm@MINT
Um mehr Frauen für MINT-Berufe gewinnen zu können, ist das Arbeitsumfeld mit entscheidend. Daher legte das 9. virtuelle Netzwerktreffen im Rahmen des Beteiligungsprogramms@MINT den Schwerpunkt auf diesen Aspekt und beschäftigte sich mit folgenden Fragen: Wie kann die Unternehmenskultur so gestaltet werden, dass weibliche MINT-Fachkräfte ihre Potenziale im Unternehmen voll entfalten und sich weiterentwickeln können? Und wie kann die Bindung dieser Fachkräfte zum Unternehmen langfristig gestärkt werden?
Moderne Unternehmenskultur als Erfolgsfaktor
Dr. Birgit Buschmann, Leiterin des Referats Wirtschaft und Gleichstellung im Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus, begrüßte alle Teilnehmenden und wies direkt zu Beginn ihrer Rede auf die Wichtigkeit des Schwerpunktthemas hin: „Die Unternehmenskultur ist aus unserer Sicht ein ganz zentraler Erfolgsfaktor für Unternehmen im Fachkräfte-Wettbewerb.“
Durch die Energie- und Mobilitätswende, den Klimawandel und die Digitalisierung nimmt die Bedeutung von gut ausgebildeten MINT-Fachkräften immer weiter zu. Auf der anderen Seite gibt es schon jetzt eine große Fachkräftelücke in diesen Berufen. In den kommenden Jahren werden circa zwei Drittel aller Hochschulabsolventinnen und -absolventen aus dem MINT-Bereich benötigt, um allein die altersbedingten Abgänge zu ersetzen. Vor diesem Hintergrund ist die Fachkräftesicherung für die baden-württembergische Wirtschaft von herausragender Bedeutung.
„Um die gesellschaftliche und wirtschaftliche Transformation zu meistern, brauchen wir alle Talente von Männern und Frauen. Und eine moderne, attraktive Unternehmenskultur trägt wesentlich dazu bei, dass alle Potenziale stärker erschlossen werden können“, erläuterte Dr. Buschmann. Außerdem seien Unternehmen, die auf gemischte Teams und gleichberechtigte Karrierechancen für Frauen und Männer setzten, deutlich resilienter, innovativer und letztlich erfolgreicher.
Flexibilität ermöglichen und sensibilisieren
Der Bedarf ist groß, aber die Realität sieht anders aus: Lediglich 18 Prozent der baden-württembergischen Erwerbstätigen im MINT-Bereich sind weiblich. Dr. Buschmanns Frage lautete folglich: „Wie können wir erreichen, dass noch mehr motivierte, kreative und starke Frauen unser Land in diesen Berufen mitgestalten?“ Sie nannte hier unterschiedliche Maßnahmen wie die gezielte Förderung von Frauen in Unternehmen über Mentoring-Programme und Stipendien, den Abbau von Barrieren, die Frauen in ihrer beruflichen Entwicklung bislang behindern, flexible Arbeitszeitmodelle sowie Qualifizierungsangebote, auch für Quereinsteigerinnen in den MINT-Bereich.
Ein wesentlicher Aspekt sei dabei auch die Implementierung einer chancengleichen, modernen Unternehmenskultur, die auf der Überzeugung basiert, dass Frauen und Männer gleichermaßen wertvolle Beiträge für Unternehmen leisten. Dr. Buschmann wies in diesem Zusammenhang auf das Beteiligungsprogramm@MINT hin, mit dem die Landesinitiative „Frauen in MINT-Berufen“ Unternehmen in Baden-Württemberg dabei unterstützt, mehr weibliche MINT-Fachkräfte zu gewinnen und eine moderne Unternehmenskultur zu entwickeln.
Energiewende braucht Macherinnen
Wie eine Unternehmenskultur etabliert werden kann, die Vielfalt möglich macht und wertschätzt, erläuterte Colette Rückert-Hennen in ihrer inspirierenden Keynote „Energiewende braucht Macherinnen! Die EnBW auf dem Weg zum diversen Energiekonzern“. Als Mitglied des Vorstands und Arbeitsdirektorin hat sie die Unternehmenskultur und das Arbeitsumfeld bei der EnBW Energie Baden-Württemberg AG nachhaltig mitgestaltet.
Zu Beginn ihres Vortrags unterstrich sie noch einmal, welch gigantische Aufgaben und Themen bewältigt werden müssen, damit Deutschland bis 2045 klimaneutral werden kann: „Klimaneutralität macht eine grundlegende Transformation des Energiesystems erforderlich. Das ist ein Marathon, den wir hier vor uns haben.“ Für die Transformation benötige die EnBW qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Insgesamt sollen bis 2026 9.600 neue Stellen geschaffen und besetzt werden. „Wir fokussieren uns hier auf die qualifizierten Frauen, denn sie sind eine wertvolle Ressource, ein Potenzial, das bei Weitem nicht ausgeschöpft wird“, sagte Rückert-Hennen.
Gezielte Förderung und Rekrutierung
Rückert-Hennen hatte einige Best-Practice-Beispiele mitgebracht, die zeigen, wie man es schaffen kann, weibliche MINT-Fachkräfte zu gewinnen und langfristig ans Unternehmen zu binden. Ein erfolgreicher Ansatz bei der EnBW sind beispielsweise Traineeprogramme, bei denen auf einen hohen Frauenanteil geachtet wird. „Unser Traineeprogramm für zukünftige Führungskräfte in der Erzeugung hat einen Frauenanteil von 70 Prozent. Wir hatten zunächst die Sorge, nicht genug geeignete Kandidatinnen zu bekommen, aber die Frauen haben die Jungs in den Assessments regelrecht weggepustet“, erzählte Rückert-Hennen.
Als weiteres Beispiel nannte sie das Netzwerk Women@Offshore – einen Zusammenschluss von Frauen, die bei der EnBW Windenergie-Projekte betreuen und die Plattform nutzen, um sich gegenseitig zu unterstützen, aber auch, um über Stellenprofile gezielt nach neuen Kolleginnen zu suchen.
Agile Führung, Frauenquote und Jobsharing
Um noch mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen, komme man oftmals um die Quote nicht herum: „Ansonsten gibt es viel zu viele Ausflüchte, warum man Dinge nicht tut. Außerdem müsse man, wenn man Frauen in Führung bringen möchte, auch Führung in Teilzeit zulassen und die Möglichkeit des Jobsharings anbieten. Rückert-Hennen hat immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Frauen führen wollen – aber nicht hierarchisch, sondern mit Flexibilität bei der Arbeitszeit oder beim Arbeitsort. Wenn die Rahmenbedingungen passen, dann seien die Frauen auch sofort dabei.
„BestWork“ für mehr Flexibilität
Für die Schaffung solcher Rahmenbedingungen wurde bei der EnBW das flexible Arbeitszeitprogramm „BestWork“ ins Leben gerufen. Es soll eine optimale, teilweise hybride Zusammenarbeit im Team bei möglichst hoher Flexibilität für jede einzelne Person ermöglichen. Dabei sollen die Teams selbst entscheiden, wie sie am besten zusammenarbeiten.
„Mit diesem flexiblen und hybriden Arbeitszeitmodell haben wir die Möglichkeit, viele junge Frauen mit Kindern einzustellen und generell ein größeres Verständnis für das Thema Diversity zu schaffen“, erklärte Rückert-Hennen. Dass das Programm funktioniert, belegen auch Zahlen: 2019 war im Topmanagement der EnBW noch keine einzige Frau zu finden, heute machen sie 20,4 Prozent aus. Bei den oberen Führungskräften ist der Frauenanteil in den letzten fünf Jahren von 17 auf 24,7 Prozent angestiegen.
Colette Rückert-Hennen beendete ihre Keynote mit deutlichen Worten: „Wir haben uns bewusst für mehr Frauen entschieden, weil wir sie dringend brauchen, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Das ist eine gemeinschaftliche Aufgabe und wir müssen alles dafür zu tun, dass wir qualifizierten Frauen die Chance geben, fantastische Jobs zu übernehmen.“
Weibliche Vorbilder haben Strahlkraft
In der anschließenden Paneldiskussion bekamen alle Teilnehmenden die Möglichkeit, über ein interaktives Abstimmungstool die Erfahrungen aus ihrem Unternehmen einzubringen. Für einen regen Austausch sorgte vor allem die Frage nach der Wichtigkeit von Vorbildern für junge Frauen, die sich für eine Karriere im MINT-Bereich interessieren.
Für Dr. Birgit Buschmann sind Vorbilder zum einen wichtig, weil sie authentisch vermitteln, dass man in MINT-Berufen erfolgreich sein kann. Zum anderen erhalten junge Frauen durch Vorbilder einen wertvollen Einblick in die Vielfalt der MINT-Berufe. „Das Problem ist, dass junge Frauen viele MINT-Berufe gar nicht kennen. Und dass immer noch 50 Prozent der Mädchen, wenn sie eine Ausbildung machen, im Prinzip nur aus zehn Berufen wählen. Das sind oftmals die klassischen Büro- oder Gesundheitsberufe“, so Dr. Buschmann. Genau deshalb brauche es Ausbildungsbotschafterinnen und -botschafter, die ein breites Berufswahlspektrum aufzeigen und junge Frauen bei der Berufsorientierung unterstützen.
Colette Rückert-Hennen ist der Auffassung, dass Inklusion nur dann funktioniert, wenn es auch Menschen gibt, die vorleben, dass es geht. Sie selbst habe immer Vollzeit gearbeitet und ihr Mann habe den größten Teil der Care-Arbeit übernommen: „Im Prinzip bin auch ich ein Role Model, denn ich zeige, dass man verheiratet sein kann, dass man Kinder und soziale Kontakte hat und trotzdem erfolgreich sein kann.“
Mädchen früh abholen, Drop-out-Quote senken
Dass eine diverse Unternehmenskultur eine wichtige Rolle spielt, um Frauen für MINT-Berufe zu gewinnen, wurde mehrfach erläutert. Jedoch müsse die Rekrutierung bereits viel früher ansetzen: „Wir sollten nicht nur die Mädchen, sondern vor allem auch die Eltern erreichen. Denn sie haben einen starken Einfluss auf die Berufswahl der Kinder“, ergänzte Rückert-Hennen. Wenn Eltern sich nicht mit der Digitalisierung oder den technischen Möglichkeiten auseinandersetzten und somit auch nicht das darin liegende Potenzial erkennen, sei es schwierig, voranzukommen.
Dr. Birgit Buschmann fügte noch weitere Punkte hinzu: Zum einen stelle sie fest, dass Mädchen in der Pubertät ungern in den Wettbewerb mit Jungs träten und deshalb in dieser Zeit eher mono-edukative Angebote brauchten, um ihre Talente zu entwickeln. Zum anderen sei die Drop-out-Quote von Frauen in MINT-Berufen hoch. Nach der Ausbildung oder dem Studium blieben nur wenige Frauen ihrem gewählten Berufsziel treu. „Was können wir also tun, damit die Physikerin nicht in die Verbraucherzentrale oder den öffentlichen Dienst geht? Da sind wir ganz schnell wieder beim Thema Unternehmenskultur“, schlussfolgerte Dr. Buschmann.
Durch Kommunikation sichtbar werden
In den Deep-Dive-Dialogen zu den Themen Kommunikation und Unternehmenskultur konnten die Teilnehmenden über ihre eigenen Best-Practices berichten und sich untereinander austauschen.
Der Deep-Dive-Dialog Kommunikation wurde von Maximiliane Straub begleitet. Sie ist Fachbereichsleiterin für Innovationen & Startups bei der GOLDBECK GmbH. Da sie als Bauingenieurin immer sehr wenige Frauen um sich hatte, sind ihr die Sichtbarkeit von Frauen und die Kommunikation nach außen umso wichtiger. Deshalb ist sie als Speakerin unterwegs und versucht junge Frauen für die Themen Innovation, Robotik und Automatisierung zu begeistern.
Im gemeinsamen Austausch ging es vor allem um die Frage, wie man Frauen gezielt ansprechen und motivieren kann, in MINT-Berufen aktiv zu werden. Dabei wurden verschiedene Initiativen und Aktivitäten erwähnt: unternehmensinterne Frauen-Mentoring-Programme, Frauennetzwerke für den fachlichen Austausch, die Teilnahme am Girls‘Day, Karriere-Talks in Schulen oder auf Berufsbildungsmessen. Aber auch die Bedeutung von Vorbildern und das richtige Wording in Stellenausschreibungen wurden thematisiert. Am Ende der Session waren sich alle einig, dass es eine Kommunikation auf vielen Ebenen braucht, um die eigene Branche zu repräsentieren und um zu zeigen, dass hier für jede und jeden Platz ist!
Strukturen anpassen und systemische Barrieren abbauen
Der Eingangsimpuls zum Deep-Dive-Dialog Unternehmenskultur kam von Rachel Parisot. Sie ist Global Diversity & Inclusion Partner bei der Roche Deutschland Holding GmbH und setzt sich für Vielfalt und Inklusion sowohl bei Mitarbeitenden als auch bei Patientinnen ein. Parisot gab Einblicke, wie Roche Diversität und Chancengleichheit fördert. Um Frauen in Führungspositionen zu bringen, sei es neben äußeren Rahmenbedingungen – dazu zählen Mentoringprogramme oder flexible Arbeitszeitmodelle – zentral, mit stereotypen Denkmustern zu brechen.
Im Laufe der Diskussion wurde schnell klar, dass es eine systemische Veränderung und dann auch eine strategische Einbettung der Maßnahmen braucht, um das Thema Chancengleichheit voranzutreiben. „Wir müssen uns überlegen, warum wir beispielsweise Frauen in MINT fördern möchten, und das auch in der Unternehmensstrategie verankern. Und wir müssen unsere Strukturen so anpassen, dass wir bestehende systemische Barrieren abbauen können“, fasste Parisot zusammen.
Die Bedeutung von Allyship wurde ebenfalls aufgegriffen: Unternehmen, die Vielfalt wirklich fördern wollen, müssen aus der Personalabteilung heraus und in die Belegschaft hinein, um dort weitere Unterstützerinnen und Unterstützer zu finden. Menschen, die bereit sind, sich für andere einzusetzen und Barrieren für diejenigen abzubauen, die bislang von Strukturen und Prozessen ausgeschlossen wurden.
Durch die Impulse der Referentinnen und Speakerinnen und den Austausch untereinander konnten die Teilnehmenden viele positive Ansätze und vielleicht auch neue Ideen mitnehmen, wie es im eigenen Unternehmen gelingen kann, Frauen noch besser zu fördern.
Erfahren Sie hier noch mehr über das Beteiligungsprogramm@MINT oder werden Sie Teil des Bündnisses der Landesinitiative Frauen in MINT-Berufen. Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme bei unserem nächsten Netzwerktreffen.
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